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Impuls zum 30. Oktober 2022

Zum 31. Sonntag im Jahreskreis

Von Sonja Billmann, Aachen

Von Gott verlassen – weltweite Täterorganisation katholische Kirche
Impuls: Glaubensbekenntnis von Dorothee Sölle

Ich glaube an Gott
der die Welt nicht fertig geschaffen hat
wie ein Ding das immer so bleiben muss
der nicht nach ewigen Gesetzen regiert
die unabänderlich gelten
nicht nach natürlichen Ordnungen
von Armen und Reichen
Sachverständigen und Uninformierten
Herrschenden und Ausgelieferten

Ich glaube an Gott
der den Widerspruch des Lebendigen will
und die Veränderung aller Zustände
durch unsere Arbeit
durch unsere Politik

Ich glaube an Jesus Christus der recht hatte, als er
„ein einzelner, der nichts machen kann"
genau wie wir
an der Veränderung aller Zustände arbeitete
und darüber zugrunde ging
an ihm messend erkenne ich
wie unsere Intelligenz verkrüppelt
unsere Phantasie erstickt
unsere Anstrengung vertan ist
weil wir nicht leben wie er lebte

jeden Tag habe ich Angst
dass er umsonst gestorben ist
weil er in unseren Kirchen verscharrt ist
weil wir seine Revolution verraten haben
in Gehorsam und Angst vor den Behörden

Ich glaube an Jesus Christus
der aufersteht in unser Leben
dass wir frei werden
von Vorurteilen und Anmaßung
von Angst und Hass
und seine Revolution weitertreiben
auf sein Reich hin

Ich glaube an den Geist
der mit Jesus in die Welt gekommen ist
an die Gemeinschaft aller Völker
und unsere Verantwortung für das
was aus unserer Erde wird
ein Tal voll Jammer Hunger und Gewalt
oder die Stadt Gottes

Ich glaube an den gerechten Frieden der herstellbar ist
an die Möglichkeit eines sinnvollen Lebens
für alle Menschen
an die Zukunft dieser Welt Gottes. Amen.

Tagesevangelium : Der Zöllner Zachäus in Jericho
1 Dann kam er nach Jericho und ging durch die Stadt. 2 Und siehe, da war ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war reich. 3 Er suchte Jesus, um zu sehen, wer er sei, doch er konnte es nicht wegen der Menschenmenge; denn er war klein von Gestalt. 4 Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste. 5 Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben. 6 Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf. 7 Und alle, die das sahen, empörten sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt. 8 Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Siehe, Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wenn ich von jemandem zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück. 9 Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. 10 Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.

Zum Fremd-Schämen
Das Evangelium lässt das Gefühl von Scham besonders deutlich werden.

Zachäus wurde von den Menschen aus seiner Stadt Jericho nicht respektiert. Denn er war Zöllner bzw. Steuereintreiber. Ihm wurde nachgesagt, dass er aus seinem Beruf Vorteile zog und betrügerisch handelte. Hier sehe ich Parallelen zum institutionellen Missbrauch. Die Institution Kirche zieht aus ihrer Situation Vorteile und handelt betrügerisch/verbrecherisch missbrauchend an Menschen.

 Als Jesus eines Tages nach Jericho kam, kletterte Zachäus auf einen Maulbeerbaum am Wegesrand und versteckte sich dort. Im Bibeltext heißt es, dass er klein von Gestalt war. Vom Baum aus konnte er besser sehen. Für ihn war aber fast noch wichtiger: Er konnte so weder von den Bewohner:innen der Stadt noch von Jesus gesehen werden. Zachäus wusste, dass die Leute ihn nicht mochten. Wegen seines Berufs schämte er sich und sein Selbstwertgefühl war minimal. Er versteckte sich lieber und lebte ganz offensichtlich allein und ohne Wertschätzung oder Anerkennung.

Viele Kleriker kennen dieses Gefühl heute. Anders als Zachäus haben sie per se keinen zweifelhaften Beruf oder auch nichts Verwerfliches getan. Dennoch schämen sich viele. Manchen ist es unangenehm, dass sie Teil einer Täterorganisation sind. Ihre Sexualität ist gesellschaftlich und kirchlich immer noch umstritten oder schambesetzt. Viele haben immer noch Angst zu zeigen, wen sie lieben oder mit welcher Geschlechtsidentität sie sich wohlfühlen. Sie kämpfen mit Scham und Minderwertigkeitsgefühlen. Genau wie Zachäus.

Sie erfahren jeden Tag, dass auf sie herabgeschaut wird, dass ihre Sexualität öffentlich diskutiert wird. Oft haben sie Mühe, sich selbst zu akzeptieren. Ihre Lebensform wird herabgewürdigt und als mögliche Ursache für ein eventuelles Tätersein missbraucht.

Als Jesus vorbeikam, ging er direkt zu dem Maulbeerbaum hin, in dem Zachäus saß, schaute auf und sagte klar und deutlich: "Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren!" (Lukas 19,5b)

Jesus wollte noch am selben Tag in sein Haus kommen. Was für eine Ansage! Die Menschen in der Menge reagierten verärgert darauf. Wieso wollte Jesus denn ausgerechnet ins Haus von Zachäus gehen? Der war doch ein Sünder und Betrüger, ein Halsabschneider und ein schlechter Mensch!  Ein Ärgernis für sie.

Zachäus reagierte dagegen erstaunt und mit Freude auf die Einladung von Jesus. Mit neuem Schwung sprang er vom Baum herunter und rannte nach Hause. Er wollte alles für den Besuch von Jesus vorbereiten. Auffällig ist, dass Jesus von da an bis zum Ende der Geschichte nichts mehr sagte. Das einzige, was Jesus zum Schluss sprach:
"Heute ist diesem Haus (von Zachäus) Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams (Lukas 19,9)."
Jesus sah Zachäus an und sprach ihn an. Das reichte aus, um Zachäus völlig zu verwandeln. Zachäus versteckte sich nicht mehr, sondern sprang vom Baum herunter und freute sich. Jesus veränderte sein Leben. Auch weil er sagte, dass er selbstverständlich dazu gehörte. Und das alles, obwohl Zachäus unbeliebt war und er sich selbst als unwürdig ansah. Jesus rehabilitierte ihn vor allen Leuten, indem er ihn als "Sohn Abrahams" bezeichnete. Zachäus war auch ein Bürger Israels und Nachfahre Abrahams. Was man dazu wissen muss und was die Menschen damals wussten: Abraham war der Urahne Israels und Empfänger von Gottes Segen und seinen Verheißungen.

Die Einwohner*innen von Jericho mochten das nicht. Sie empörten sich darüber. Sie tuschelten hinter seinem Rücken. Aber sie kritisierten Jesus nicht laut. Sie hielten ihn auch nicht davon ab zu Zachäus zu gehen. Und Jesus ließ sich nicht abhalten. Er machte seinerseits klar: Egal, was Zachäus gemacht oder nicht gemacht hatte. Zachäus hatte sich nie außerhalb des Bundes von Gott mit seinem Volkes Israel befunden. Zachäus hatte einen unpopulären Beruf, und er war nicht beliebt. Aber er gehörte dazu, wie alle anderen auch. Daher sollte er sich nicht länger schämen.

Es wäre eine spannende Frage, was passieren würde, wenn Jesus heute zu Besuch kommen würde. Ich stelle mir das so vor: Die Leute drumherum wären empört. Wieso geht der Jesus denn ausgerechnet zu diesen Klerikern? Was will er denn da? Die haben es doch gar nicht verdient. Er könnte doch stattdessen zu uns kommen!

In den Pfarrhäusern wäre dagegen Hochbetrieb: Sie würden aufräumen, Musik anmachen, etwas leckeres zu Essen kochen und einige Flaschen Wein und Bier kalt stellen. Sie wären aufgeregt. Denn der Besuch von so einer bedeutsamen Persönlichkeit würde ihnen deutlich zeigen: Wir fühlen uns zwar manchmal minderwertig und beschämt, weil viele uns für pervers oder sogar für krank halten. Aber wir sind genauso viel wert wie alle anderen auch. Dieser Jesus sieht uns an, wie wir sind und akzeptiert uns. Jesus besucht uns, will mit uns essen und reden. Wow! Wie cool ist das denn?! Wir sind vor Jesus weder zweiklassig noch krank oder pervers. Das muss gefeiert werden!

Trotz aller Widrigkeiten rehabilitierte Jesus den Zachäus und stellte klar, dass auch er ein Sohn Abrahams war. Die Mahlgemeinschaft Jesu mit Zachäus gab ihm die Chance, sich gesehen zu fühlen. Er spürte Wertschätzung. Einfach, weil Jesus da war. Es half ihm, seine Scham hinter sich zu lassen und sein Leben zu verändern, innerlich vor sich selbst und äußerlich vor und mit den anderen. Zachäus wurde von Jesus gesehen und anerkannt. Das war für ihn eine ganz neue und damit lebensverändernde Erfahrung. Er versprach daraufhin, Geschädigten Geld zu spenden und für finanzielle Übervorteilungen aufzukommen.

Erfahrungen von Respekt und Anerkennung können auch für Kleriker lebensverändernd und befreiend sein. Natürlich dauert es je nach Lebensgeschichte viel länger, Scham und Verunsicherung hinter sich zu lassen. Und es dauert nochmal länger, im Laufe der Zeit Stolz auf das eigene Leben und Selbstakzeptanz einzuüben. Für manche ist es eine lebenslange Herausforderung. Andere brauchen dafür therapeutische Begleitung. 

Was aber sicher ist: Wenn Menschen gesehen, ernst genommen und anerkannt werden, dann hilft es fürs eigene Leben und stärkt das Selbstwertgefühl. Jesus bezeichnete es als Heil für das Haus von Zachäus. Und er hatte recht: Gesehen und akzeptiert werden, ist heilsam. Und es hilft, Scham und Unsicherheit abzubauen und stärkt Körper, Geist und Seele.

Die zentrale Frage scheint mir die Frage nach der Scham zu sein ist – der Glaube an die Kirche ist tief erschüttert. Die vielen Missbrauchskandale, die in unserer Kirche geschehen sind, sind schambesetzt. Gesunde Scham ist schutzvoll für jeden Einzelnen. Kollektive Scham ist notwendend-  um Taten zu verhindern und gelebte gelingende Sexualität zu ermöglichen.  

Wir singen gemeinsam: Meine engen Grenzen 
 1. Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht
Bringe ich vor dich.
Wandle sie in Weite, Herr, erbarme dich? (2x)

2. Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und lähmt
Bringe ich vor dich.
Wandle sie in Stärke, Herr, erbarme dich? (2x)

3. Mein verlornes Zutraun, meine Ängstlichkeit
Bringe ich vor dich.
Wandle sie in Wärme, Herr, erbarme dich? (2x)

4. Meine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit
Bringe ich vor dich.
Wandle sie in Heimat, Herr, erbarme dich? (2x)

Gebet zum Abschluss. Der dritte Weg von Dorothe Sölle
Wir sehen immer nur zwei wege
sich ducken oder zurückschlagen
sich kleinkriegen lassen oder
ganz groß herauskommen
getreten werden oder treten
Jesus du bist einen anderen weg gegangen
du hast gekämpft aber nicht mit waffen
du hast gelitten aber nicht das unrecht bestätigt
du warst gegen gewalt aber nicht mit gewalt
Wir sehen immer nur zwei möglichkeiten
selber ohne luft zu sein oder andern die kehle zuhalten
angst haben oder angst machen
geschlagen werden oder schlagen
Du hast eine andere möglichkeit versucht
und deine freunde und freundinnen haben sie
weiterentwickelt
sie haben sich einsperren lassen
sie haben gehungert
sie haben die spielräume des handelns
vergrößert
Wir gehen immer die vorgeschriebene bahn
wir übernehmen die methoden dieser welt
verachtet werden und dann verachten
die andern und schließlich uns selber
Lasst uns die neuen Wege suchen
wir brauchen mehr phantasie als ein
rüstungsspezialist
und mehr gerissenheit als ein waffenhändler
und lasst uns die überraschung benutzen
und die scham die in den menschen versteckt
ist.