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Impuls zum 12. Juli 2020

Zum 15. Sonntag im Jahreskreis

Von Ferdinand Kerstiens (Marl), pax christi Münster 

Liturgische Eröffnung

Die Schöpfung liegt in Wehen

Ich erinnere mich noch an mein Unverständnis früher angesichts der Stelle in der heutigen (2.) Lesung: „Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tage gemeinsam seufzt und in Geburtswehen liegt.“ (Röm 8,22). Ich verstand nicht, was das zu bedeuten hatte, bis im Laufe der Jahre mir immer deutlicher wurde: Die ganze Schöpfung ist nicht unsere Umwelt, mit der wir machen können, was wir wollen, sondern unsere Mitwelt, deren wir nur ein Teil sind, aber mitverantwortlich für das Ganze. Das Seufzen der Schöpfung haben wir alle, hat unsere Gesellschaft, hat unsere Kirche lange, zu lange überhört. Die Hinweise sind Legion, oft erst von kleinen Gruppen erkannt und versucht, ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. 

Nur ein Beispiel aus den heutigen Nachrichten: Im fernen Sibirien taut wegen der globalen Klimaerwärmung der Permafrostboden auf. Die Fundamente der Öllager brechen weg und das Öl dringt bis ins Polarmeer. Durch das Auftauen der Permafrostböden werden Krankheitskeime frei, gegen die es noch keine Immunität gibt, und Methangas, das die Atmosphäre weiter vergiftet. 

Heute wissen wir, wie unsere Welt bedroht ist, bedroht durch uns selbst. Nur noch wenige verweigern sich dieser Erkenntnis. Doch wie schwer ist es, unsere Wirtschaftsform, die nach den Worten von Papst Franziskus tötet, in ihrer Struktur zu ändern. Das Corona-Virus hat deutlich gemacht, dass unsere Welt Eine ist und alle Menschen bedroht sind. Der Schrei nach Gerechtigkeit ist Teil des Seufzens unserer Welt, denn das Virus betrifft alle, doch die Armgemachten und Ausgesonderten besonders, weil deren Möglichkeiten sich zu wehren, sehr begrenzt sind. 

Wie sieht es aus in den Favelas von Rio de Janeiro und Sao Paulo, in den Flüchtlingslagern dieser Welt, wenn du diesen Text liest? Schau umher und höre das Seufzen der Schöpfung, das Seufzen der Opfer.  

2. Lesung

„Ich bin überzeugt, dass die Leiden dieser Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne und Töchter Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat: zugleich gab er ihr Hoffnung: auch die Schöpfung soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag gemeinsam seufzt und in Geburtswehen liegt. Mehr noch: auch wir, die wir die Erstlingsgabe des Geistes haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne und Töchter offenbar werden.“ (Röm 8,18-23) 

Dieser Text nimmt die Wirklichkeit zur Kenntnis, bleibt aber nicht in der Beschreibung der „Leiden unserer Zeit“ stehen, sondern will Hoffnung wecken, will die Söhne und Töchter Gottes einladen, etwas von ihrer „Herrlichkeit“, die ihnen jetzt schon geschenkt ist, ihrer Mitwelt, eben der ganzen Schöpfung weiterzugeben.

Der Text spricht von „Geburtswehen“. Was soll geboren werden? Wir erleben, wie ein kleines Virus auf einmal offenbar macht, auf wie schwankenden Boden, eben auf den auftauenden Permafrostböden, unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, unser Fortschritt, unser permanent gefordertes Wachstum aufgebaut sind. Das Auftauen des Permafrostes ist ja ambivalent: Es setzt Gifte frei und zerstört manches Fundament, aber es setzt auch manches Leben frei, das Jahrtausende verborgen war. Deswegen möchte ich dieses Bild vom auftauenden Permafrost auch anders herum ins Spiel bringen: Ist jetzt nicht die Gelegenheit, den Permafrost unserer Wirtschaft aufzutauen, damit die Strukturen geändert werden, die „die Reichen immer reicher machen auf Kosten der Armen, die immer ärmer werden“ (Lateinamerikanische Bischofskonferenz von  Puebla 1979, Nr. 30)? Ist jetzt nicht die Gelegenheit, den Permafrost in unserer Kirche aufzutauen, der sie in der Vergangenheit festhält und sie vielfach daran hindert, „Diener der Versöhnung“ (2 Kor 5,11-21) „Diener der Freude“ (2 Kor 1,24), Diener des „Lebens in Fülle“ (Joh 10,10) Diener des Friedens (Eph 2), Diener der Freiheit (Gal), Zeichen der Liebe (1 Kor 13) zu werden. Ob der „Synodale Wege“ diesen Dienstcharakter unserer Kirche deutlicher machen kann in seinen vier Bereichen: Stellung der Frau in der Kirche, Liebe und Sexualität, Zölibat und Stellung der Priester, sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch? Der Dienst an den Armen, unseren Geschwistern, der Dienst an allem Leben in unserer Einen Welt kommt da noch nicht vor. 

Es geht um die Geburtswehen einer neuen Welt aus dem Geist ihres Schöpfers als Lebenswelt für alles, mit den Worten der Lesung, um das Offenbarwerden der Herrlichkeit der Kinder Gottes und ihrer ganzen Mitwelt. Das wird nur schrittweise geschehen können. Aber die Hoffnung, von der unsere Lesung spricht, „geschieht im Tun des nächsten Schrittes“ (Karl Barth). Dazu sind wir eingeladen, dazu sind wir vom Geist Gottes befähigt. Dass da nicht alles gelingt, zeigt das heutige Evangelium (Mt 13,1-23). Es erzählt vom Sämann, der guten Samen sät. Vieles gerät unter die Dornen, fällt auf felsigen Boden und wird von Vögeln gefressen, verdorrt unter der Sonne. „Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach. Teils dreißigfach. Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ (Mt 1,8) 

In dieser Hoffnung können wir als Einzelne und als pax christi auch unsere eigenen kleinen Schritte des Dienstes an Gerechtigkeit und Frieden, an Versöhnung und Freude, am Leben der ganzen Schöpfung gehen. Es wird nicht alles gelingen, aber einiges fällt auf guten Boden, damit die „Geburtswehen“ der seufzenden Schöpfung neues Leben hervorbringen. 

In den Fürbitten geht es nicht darum, Gott auf das Leid der Menschen und der Schöpfung aufmerksam zu machen. Er weiß darum. Es geht auch nicht darum, Gott endlich zum Handeln aufzufordern, das Elend zu beenden. In den Fürbitten machen wir uns bewusst, dass wir und die anderen Menschen, vor allem die in Not, vor Gott zusammengehören, dass wir füreinander verantwortlich sind, dass die Solidarität mit den anderen und die Sorge für die ganze Schöpfung Kennzeichen und Wahrnehmung unseres Glaubens ist. Das Motto „Rette deine Seele“ ist Permafrost von vorgestern. An wen und was denke ich bei meinen persönlichen Fürbitten?  

Gebet

Guter Gott,

wir danken dir für den Reichtum deiner Schöpfung!

Sie ist Zeichen deiner schöpferischen Fantasie!

Uns Menschen hast du diese Schöpfung anvertraut.

Lass uns so mit unserer Erde,

lass uns so mit allen Menschen umgehen,

wie es diesem gegenseitigen Vertrauensverhältnis entspricht.

Lass uns Wege finden

die Erde zu bewahren vor verseuchten Böden und vergifteter Luft,

vor dem Atom-Müll und seinen tödlichen Strahlen.

Hilf uns, die Tiere und das Vieh,

das wir halten und von dem wir leben;

so zu behandeln, wie es ihrer jeweiligen Art entspricht.

Du willst, dass wir uns an deiner Schöpfung freuen.

Du willst, dass sie als Lebensraum für alle erhalten bleibt,

dass alle Menschen miteinander das Leben in Fülle finden.

Wir staunen und danken. 

Lied

im Münsteraner Gotteslob Nr. 813 (Klaus Peter Hertsch) 

Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist,

weil Leben heißt: sich regen, weil Leben wandern heißt.

Seit Gottes leuchtend Bogen am hohen Himmel stand,

sind Menschen ausgezogen in das gelobte Land.

Vertraut den neuen Wegen und wandert in die Zeit!

Gott will, dass ihr ein Segen für seine Erde seid.

Der uns in frühen Zeiten das Leben eingehaucht;

der wird uns dahin leiten, wo er uns will und braucht.

Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt!

Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land.

Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit.

Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit.

 

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