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Mali: Blitzkrieg à la française...

...oder Afghanistan 2.0 in Afrika?

von Heinz Werner Wessler

Jeder kennt den Namen der sagenumwobenen Wüstenstadt Timbuktu. Doch der Name „Mali“ war der deutschen Öffentlichkeit bis vor kurzem nahezu unbekannt. Das Sahel-Land ist eines der großen Flächenstaaten der Sahelzone, die große Mehrheit der Bevölkerung vertritt eine afrikanische Version des Islam. Christen, meist Katholiken, sind in der ehemaligen französischen Kolonie eine kleine Minderheit. Doch mit ihren vielen Schulen, Krankenhäusern und anderen gemeinnützigen Institutionen spielen sie wie in anderen nichtchristlichen Ländern eine wichtige Rolle im Modernisierungsprozess – nicht ohne interne und externe Probleme, wie die einstweilige Schließung des bekannten sozialen Instituts Centre Djoliba im Bamako zeigt. In den sechs katholischen Diözesen wird zudem der Dialog mit dem Islam groß geschrieben. 

Im März 2012 brachte Mali zum ersten Mal Wind in den Blätterwald. Bundesaußenminister Westerwelle brauchte sich nicht weit aus dem Fenster zu hängen, als er den Militärputsch gegen den malischen Präsidenten Touré verurteilte. Die Anderen in Europa und in den USA taten es schließlich mehr oder weniger genauso. Als es dem Putschistenführer Amadou Sanago daraufhin zu heiß wurde, setzte er den Zivilisten Dioncounda Traoré als Parlamentspräsident und Feigenblatt für seinen Putsch ein.

Der Konflikt

Die Hauptstadt Bamako liegt weit im Süden mit seiner schwarzafrikanischen Bevölkerung. Dort hatte die politische Klasse schon immer ihre Schwierigkeiten mit den Tuareg und Arabern im Norden, die sich wiederum vom Süden diskriminiert fühlen. Mit dem offenen Angriff auf eine Armeekaserne im Norden am 17. Januar 2012 gingen die Rebellen aus dem Norden in die Offensive. Neben der Sammelbewegung der Tuareg-Rebellen MNLA hatten sich mit Ansar Dine, Aqmi und Mujao drei islamistische Gruppen in der komplizierten Gemengelage von Machtkämpfen in Nord-Mali zu Machtfaktoren eingenistet. Mit Kidal fiel im März 2012, kurz vor dem Putsch, die erste größere Stadt in die Hände der Rebellen. 

Selbst Armand Dembele, Generalkoordinator der mit pax christi internationalis verbundenen „Initiative Malienne Pax Christi pour le Développement“, spricht in einem Brief vom 29.1.2012 an pax christi Österreich bei den islamistischen Gruppen von „Terroristen“, die den Tuareg-Faktor innerhalb der Rebellion an den Rand geschoben hätten. Im Laufe des Jahres 2012 brachte die diffuse Rebellenkoalition aus Tuareg-Interessen und Islamismus den ganzen Norden unter ihre Kontrolle, rief den unabhängigen Staat Azawad aus und fing Anfang 2013 sogar an, über das traditionelle Tuareg-Land hinaus in Richtung Süden vorzurücken. Der harte Kern der drei islamistischen Gruppen, die die Kontrolle der großen Städte unter sich aufteilten, bestand aus Nordafrikanern und nahm auf die NMLA immer weniger Rücksicht. Oberst Ghadhafi hatte vor seinem Abtritt von der Bildfläche noch davor gewarnt, dass sich ohne ihn die „Pforten der Hölle“ auftun würden. War es ein Konflikt dieser Art, was er damit gemeint hatte?

Viele der Kämpfer sind Malier, die einmal froh gewesen waren, ihren bitterarmen Lebensumständen entkommen zu sein und in Gaddafis Soldateska Arbeit und Auskommen gefunden zu haben. Die Arabellion hat ihnen alles genommen. Es heißt, dass kurz vor dem Untergang in Libyen noch große Mengen Waffen und Ausrüstung - aus europäischer Produktion, versteht sich, bezahlt mit Libyens Öl – über die kaum kontrollierten Grenzen nach Mali geschafft wurden. Insofern ist das Chaos in Mali eine direkte Folge des von der NATO orchestrierten Umsturzes in Libyen. Doch auch von Algerien aus sickerten zunehmend Söldner, Ausrüstung und vor allem islamistisches Gedankengut nach Mali ein. Die algerischen Jihadisten konnten das ideologische Vakuum der abgetakelten Gaddafi-Getreuen scheinbar füllen. 

Zwar konnten die selbst ernannten Kalifatskämpfer dank des vergleichsweise üppigen Solds, das ihre Truppenführer zu zahlen in der Lage sind, auch lokal rekrutieren. Religiöser Fanatismus ist der Bevölkerung jedoch fremd. Die Jihadisten erwiesen sich außerdem immer mehr als Banditen, Vergewaltiger und Mörder. Außerdem gehen sie ohne Rücksicht auf religiöse Empfindlichkeiten gegen die im Volksglauben tief verwurzelte Heiligen- und Ahnenverehrung vor, die der Islamismus rigoros ablehnt. Im Dezember 2012, als der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 2085 auf eine Unterstützung des malischen Militärs und eine innerafrikanische Eingreiftruppe drängte und damit erstmals Stellung nahm, traten die Bruchlinien zwischen den beteiligten Parteien an der Revolte deutlich zu Tage. 

Taten statt Warten?

Dann überschlugen sich plötzlich die Ereignisse. Mit den hochprofessionellen französischen Eingreiftruppen trat ein neuer, unerwarteter Faktor in die komplexe Gemengelage ein. Frankreich, die EU, die Uno und im Gefolge auch Deutschland unterstützen auf einmal die malischen Putschisten, denn die westliche Welt hat hier eine der Frontlinien im weltweiten Kampf gegen die Islamisten identifiziert. Nun hieß es, Mali dürfe kein zweites Somalia und kein zweites Afghanistan werden. Mit diesen suggestiven Schlagworten lassen sich in Europa und Nordamerika problemlos Milliardenbeträge für Militärausgaben mobilisieren. Dies schließt die Finanzierung für eine westafrikanische Eingreiftruppe, Ausbildung der malischen Armee, Feindüberwachung und alle möglichen Versuche ein, der unseriösen malischen Regierung im eigenen Land und international zu Glaubwürdigkeit zu verhelfen. Wie in Afghanistan werden allerlei überzeugend klingende Sekundärziele mit dem primären Anliegen – Vertreibung der Islamisten – vermischt: Unterbindung des Drogen- und Menschenhandels, Demokratieförderung, Bildung, gute Regierungsführung, Frauenförderung und dergleichen mehr. Die staatlichen und nichtstaatlichen Organe der Entwicklungszusammenarbeit, inklusive der kirchlichen, werden zweifellos mit einer beträchtlichen Aufstockung ihrer Mali-Budgets nachrücken. Mit anderen Worten, der Patient kommt an den Tropf – ob er will oder nicht.

Doch der Kreis zieht sich noch weiter. Der Präsident des Nachbarlandes Niger, Issoufou, hat der Stationierung von US-Drohnen zur Überwachung des Luftraums von Mali und der weiteren Sahara in einem längst geplanten Stützpunkt in der Agadez-Region im Norden zugestimmt. Algerien und Libyen sind alarmiert. Frankreich plant außerdem, Elitesoldaten nach Niger zu schicken, um zu verhindern, dass die von seiner staatlichen Atomagentur AREVA kontrollierten Uranminen in den Sog des Mali-Konfliktes geraten. Malis Nachbarland Niger ist ein wichtiger Lieferant von Frankreichs Uran, und bekanntlich beabsichtigt Frankreich keineswegs, seine Atomkraftwerke abschalten. Der französische Atomkonzern AREVA denkt in die Zukunft und exploriert seit Jahren auch Uranvorkommen in Mali. 

Präsident Hollande kann mit seinem abrupten Wandel zum entschlossenen Feldherrn, der den Bündnispartner Deutschland wie in den alten Zeiten erst im Nachhinein über das Mali-Engagement informierte, bei der französischen Bevölkerung ordentlich punkten. Nebenbei erweist sich, dass nicht nur das vielgescholtene Großbritannien, sondern auch Frankreich so seine Vorbehalte gegen die hochgelobte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU-Vertragspartner behält.

Grenzen des Machbaren

Trotz des blitzartigen militärischen Siegs sind die Grenzen des militärisch Machbaren sichtbar. Der französische Verteidigungsminister Le Drian bemüht sich, den französischen Einsatz in einen internationalen UN-Blauhelmeinsatz zu überführen. Die Jihadisten sind einstweilen wie vom Erdboden verschluckt, doch sie werden wiederkommen. Hier entsteht ein neues asymmetrisches Konfliktszenario, in dem Frankreich möglichst viel an Verantwortung von sich an die UN, die EU und die westafrikanische Staatengemeinschaft wegdelegieren will, nachdem die NATO rasch Desinteresse signalisiert hat. Die Fäden in der Sahelzone wird es aber wohl nicht aus der Hand geben wollen. Man kann davon ausgehen, dass die bestehenden französischen Stützpunkte in Westafrika nun zu hochmodernen Aufklärungs- und Interventionszentren ausgebaut werden. Insofern gibt es durchaus Ähnlichkeiten zur Rolle der USA in Afghanistan und Irak.

Für den Augenblick scheint alles glatt zu laufen. Die bisher wenig profilierte Regierung in Bamako weiß, dass Paris sich bemühen wird, sie zu einem ernsthaften Gesprächspartner aufzupäppeln. Doch es bleibt bei der perspektivlosen Armut des größten Teils der Bevölkerung. Solange sich da nichts ändert, gibt es auch keinen Frieden, betont Wolfgang Schonecke vom Netzwerk Afrika-Deutschland. Mit der Zeit wird es schwer fallen, den Eindruck zu vermeiden, hier gehe es um ein neokoloniales Großprojekt in neuem Gewand. Die sicherlich zunehmenden Ressentiments dagegen in Verbindung mit Islamismus können sich leicht zu einer explosiven Masse vermengen. Hinzu kommt, dass die skandalöse Finanzierung der unter dem Namen „Al-Kaida“ operierenden Jihadisten aus Saudi-Arabien und den Golfemiraten sicherlich erhalten bleibt. 

Der Konflikt im Norden Malis wirkt wie ein Katalysator für das französische Überwachungsregime in der Sahelzone. Die geschickt lancierten Horrormeldungen über islamistische Exzesse in Nord-Mali haben ein Zeitfenster der Militarisierung aufgetan. Das Projekt arbeitet mit der Suggestion, mit militärisch-chirurgischen Lösungen ließe sich das „Problem“ des Jihadismus in den Griff bekommen. Die Zeit spielt jedoch gegen die Militärs. Der Wüstenkrieg à la française verschafft nicht mehr als eine Atempause.