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Impuls zum 13. September 2020

Zum 24. Sonntag im Jahreskreis

Von Maria Buchwitz (Münster), Diözesanvorsitzende von pax christi Münster

Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wir euch befreien. 
Johannes 8,32
Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

am heutigen Sonntag, den 13. September 2020, zeigt die pax christi-Kommission Solidarität mit Zentralafrika in Kooperation mit der Gesellschaft für bedrohte Völker und dem Cinema Münster den Film „Das Kongotribunal“. Das Kongotribunal ist ein Theater- und Filmprojekt von Milo Rau, welches den seit 20 Jahren andauernden äußerst brutalen Krieg im Ostkongo in seiner Widersprüchlichkeit versucht öffentlich darzustellen. Rau hat es geschafft, alle Beteiligten, Kriegsopfer, Milizionäre, Vertreter*innen internationaler Konzerne und der Regierung, 

Oppositionelle, Mitarbeiter*innen verschiedener NGOs und Anwält*innen aus der DR Kongo und vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag an einen Tisch zu bringen. Auch wenn es eine symbolische Verhandlung war, weckte es bei den Tausenden Zuhörenden in Bukavu und in Berlin doch die Hoffnung auf die Möglichkeit eines realen Internationalen Gerichtshofs für den Kongo. Die Herstellung von Öffentlichkeit für die Kriegsverbrechen und für die Fehler und Versäumnisse der Politik – der Wahrheit öffentlich ins Gesicht sehen - das ist die wichtigste Voraussetzung für eine nationale Versöhnung. 

Versöhnung und Vergebung bedingen einander – hören wir, was das heutige Evangelium dazu sagt.

Evangelium nach Matthäus 18,21-35
Siebenundsiebzigmal, nicht nur siebenmal also soll ich meinem Bruder, meinem Mitmenschen vergeben, der/die mir gegenüber schuldig geworden ist. In der Bildsprache Jesu bedeutet das, dass ich ihm oder ihr unendlich viele Male vergeben soll. Im Kern geht es bei diesem zwischenmenschlichen Konflikt um das gleiche wie bei Konflikten, die Völker oder Länder miteinander austragen: Sie können nur durch – nach Möglichkeit gemeinsame – Suche nach der Wahrheit und die Bereitschaft zur Versöhnung bewältigt werden. Und aus der Bewältigung von Konflikten heraus kann Entwicklung möglich werden, die Befreiung von unseren Verwicklungen. 

Ein friedliches Zusammenleben, Versöhnung im persönlichen zwischenmenschlichen Bereich ebenso wie zwischen verschiedenen Völkern kann nur gelingen, wenn wir zunächst fähig werden, der Wahrheit, auch der unangenehmsten Wahrheit ins Gesicht zu sehen und unserem Gegenüber wirklich zuzuhören. Dann erst kann die Einsicht entstehen, dass ich vielleicht doch nicht in allem richtig liege; dass mein Gegenüber vollkommen andere Erfahrungen gemacht hat, eine andere Sichtweise auf die Dinge und andere Interessen hat und somit sein/ihr Verhalten gute Gründe hat. Dann erst kann aus der Einsicht meines Verfehlens die Bitte um Vergebung und somit Versöhnung entstehen. 

Das klingt im Grunde einfach, ist es aber nicht, wie all unsere Erfahrung zeigt. Auf der Ebene der Völkerverständigung wäre schon viel gewonnen, wenn wir bereit wären anzuerkennen, dass wir nicht allein auf der richtigen Seite sind. Wir argumentieren aus der Position der überlegenen westlichen Wertegemeinschaft heraus und messen mit zweierlei Maß hinsichtlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dem Bruch des Völkerrechts, wenn es um unsere Wirtschaftsinteressen geht. Ein aktuelles Beispiel: Die Konsequenzen aus der Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny werden ungleich härter ausfallen als diejenigen aus dem Fall der grausamen Tötung des saudi-arabischen regimekritischen Journalisten Jamal Kashoggis in der Saudischen Botschaft. Die deutsch-russischen Beziehungen werden noch mehr belastet, Dialog erschwert, wenn nicht ganz verhindert; die Spirale der Gewalt wird verbal wie militärisch weiter angeheizt. Seit Tagen beherrscht der Fall sämtliche Nachrichtenkanäle. Warum fassen wir uns nicht an die eigene Nase und setzen endlich eine dringend gebotene Entschuldung der Länder des globalen Südens ganz oben auf die politische Agenda? Sowohl an der Zerstörung der heimischen Märkte durch unsere Handelspolitik haben wir einen erheblichen Anteil als auch am Klimawandel, dessen verheerende Auswirkungen in erster Linie die ärmeren Länder spüren – und nun müssen sie auch noch mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie fertig werden.           

Zurück zum heutigen Evangelium: Versöhnung zwischen Völkern ebenso wie im persönlichen Bereich ist ein oft schwieriger, aber absolut notwendiger Prozess. Nicht umsonst nimmt das Thema Schuld, Vergebung und Versöhnung in den Reden Jesu einen großen Raum ein – denken wir z.B. an das Evangelium vom letzten Sonntag oder an die berühmte Stelle vom Splitter im Auge meines Bruders und dem Balken in meinem eigenen Auge. 

Diesen Balken erkennen, persönliche und/oder strukturelle Schuld erkennen, ist wohl der wichtigste erste Schritt. Für uns Christ*innen bedeutet das: Gott vergibt mir unendlich viele Male, und so bin ich gefordert und befähigt, die gleiche Vergebung meinem Mitmenschen zu gewähren – das wird im Evangelium deutlich. Die Bitte im Vater Unser „Vergib uns unsere Schuld“ kann ich nur aussprechen mit dem nachfolgenden „wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ – ebenso wie die Liebe zu Gott nur mit der Liebe zum Nächsten gedacht und gelebt werden kann. Ein hoher Anspruch, sicherlich – aber haben wir einen anderen Weg um die Spirale der Missverständnisse und der Gewalt zu durchbrechen, um in SEINE Wahrheit hinein zu wachsen? 

Liedvorschläge
Gotteslob 446 – Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun
Gotteslob 839 – Wo Menschen sich vergessen
 

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