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Impuls zum 4. Oktober 2020

Zum 27. Sonntag im Jahreskreis

Von Ute Zeilmann (Wertheim), Mitglied der pax christi-AG Migration

Dankbar in Zerstörung ist das denkbar?
Hinführung

Der erste Sonntag im Oktober ist bei uns der Erntedanksonntag. Fast alles, was Feld, Garten, Weinberg hergegeben haben, ist in unserer Region geerntet. Es war den landwirtschaftlichen Behörden zufolge nicht unbedingt ein gutes Jahr, das trockene Wetter und der Wind ließen die Erträge niedriger ausfallen. Beim Einkaufen merkt man das noch nicht immer gleich, hier wirken sich schlechtere Ernteerträge immer erst später aus. Teils wurden gewisse Sachen wegen der Corona-Pandemie auch günstiger. 

Dass durch unsere Lebensgrundlage Erde, Wasser und Sonne Gewachsene und Erwirtschaftete entspricht nicht immer dem Erwirtschafteten der Märkte. Es ist eine seltsame Entkopplung, die auch dazu führt, dass wir Feld, Garten, Weinberg metaphorisch nutzen können. Wir reden heute in Deutschland öfter vom Wachsen des Umsatzes, des Exports oder vom erwirtschafteten Gewinn als vom Wachsen des Getreides, dem Reifen der Trauben und dem erwirtschafteten Ertrag. Wem danken wir dann also? Unseren Bänkern, die unser Vermögen gut angelegt haben? Dem Aufsichtsrat oder Manager, der einen Kursabsturz verhindert hat? Dem Marketing, das neue Märkte erschlossen hat? Den Politiker*innen, die durch wirtschaftsfreundliche Gesetze Unternehmen gestärkt haben? 

Ich danke diesen Akteur*innen nur bedingt. Ich will danken der Erde, der Sonne, dem Wasser, da diese Dinge keine Selbstverständlichkeit für mich sind, sondern Schöpfergaben. Daher möchte ich Gott danken an diesem Tag und dankbar sein für die Metaphern aus der Landwirtschaft, die Propheten und Evangelisten zu interessanten Gedanken und Mahnungen für Gott-Glaubende und Gott-Dankende inspiriert haben. Und doch sehe ich auch mit den Augen des Propheten Jesaja auf zerstörte Erde, vertrocknete und verbrannte Erde – auf Moria, in Brasilien, in Kalifornien, in Australien, in der Sahelzone, in Syrien, im Irak und die Liste kann noch lange weitergeführt werden.

Jesaja vergleicht das Volk Israel, die Einwohner Judas seiner Zeit, als einen Weinberg, der der Zerstörung preisgegeben wird, da das Volk kein Recht und keine Gerechtigkeit mehr kennt und praktiziert. Naturkatastrophen und auch eine Pandemie können kommen, es sind die Chaosmächte, die von der guten Schöpfungsordnung Gottes nur unter Kontrolle gehalten werden, er versucht sie einzudämmen. Doch eine industrielle Wohlstandsgesellschaft verstärkt durch einen von Menschen beschleunigten Klimawandel Naturkatastrophen und soziale Ungerechtigkeit. Ein ungerechtes, unsolidarisches und schlechtes Gesundheitssystem lässt Menschen zu Tausenden an einem Virus zugrunde gehen, obwohl bessere, fairere Hygiene- und Gesundheitsstandards und verantwortungsvolles Regieren auch Todesfälle verhindern könnte. Zerstörerische Kräfte wirken auf unserer Erde und so stellt sich die Frage aus Jesajas Weinberg Lied: Ist es denkbar, dankbar auch in Zerstörung oder angesichts von Zerstörung zu sein? Ich weiß, es ist eine provokative Frage. Versuchen wir, in diesem Impuls dieser Frage nachzugehen. 

Gebet
Gott, Schöpfer nennen wir Dich, allmächtig nennen wir Dich, gütig, da wir daran glauben, dass wir das Leben, die Erträge, das Gute und Schöne vor allem Dir zu verdanken haben. Doch das ist nur eine Seite von Dir, da Du Gott bist und kein Mensch. Auch das Leben hat andere Seiten, dunkle, zerstörerische, ungerechte, da fällt es uns nicht leicht, dankbar zu sein. Liegt es daran, weil wir uns nicht vorstellen wollen, dass Du auch das Unheil und Dunkel geschaffen hast? Liegt es daran, weil wir möchten, dass Du immer gut und nachsichtig bist? Liegt es daran, dass wir vieles einfach so hinnehmen? Die Kraft unseres christlichen Glaubens liegt genau darin, zu entdecken, dass auch im Zerstörerischen Deine Spuren zu finden sind, dass Du auch in Katastrophen bei uns bist, ein Gott, der mitgeht, mitfühlt und auch mal herausfordert. Das zu verinnerlichen lehre uns heute, morgen und bis in Ewigkeit. AMEN

Lesung Jes 5,1-7: Hört das Lied meines Freundes von seinem Weinberg
(Übersetzung nach der Guten Nachricht Bibel angefertigt von Almuth Meyer)
  
Erste Strophe
Auf fruchtbarem Hügel,
da liegt mein Stück Land,
2 dort hackt ich den Boden
mit eigener Hand,
ich mühte mich ab
und las Felsbrocken auf,
baute Wachtturm und Kelter,
setzte Reben darauf.
Und süße Trauben
erhofft ich zu Recht,
doch was dann im Herbst wuchs,
war sauer und schlecht.
Zweite Strophe
3 Jerusalems Bürger,
ihr Leute von Juda,
was sagt ihr zum Weinberg,
was tätet denn ihr da?
4 Die Trauben sind sauer –
entscheidet doch ihr:
War die Pflege zu schlecht?
Liegt die Schuld denn bei mir?
Dritte Strophe
5 Ich sage euch, Leute,
das tue ich jetzt:
Weg reiß ich die Hecke,
als Schutz einst gesetzt;
zum Weiden solln Schafe
und Rinder hinein!
Und die Mauer ringsum –
die reiße ich ein!
Zertrampelnden Füßen
geb ich ihn preis,
schlecht lohnte mein Weinberg
mir Arbeit und Schweiß!
6 Ich will nicht mehr hacken,
das Unkraut soll sprießen!
Der Himmel soll ihm
den Regen verschließen!
Vierte Strophe
7 Der Weinberg des Herrn
seid ihr Israeliten!
Sein Lieblingsgarten,
Juda, seid ihr!
Er hoffte auf Rechtsspruch –
und erntete Rechtsbruch,
statt Liebe und Treue
nur Hilfeschreie!« 

Auslegung
Das schönste dieses Weinberglieds übersehen wir oft: Jesaja bezeichnet Gott als Freund: Ich will ein Lied singen vom Weinberg meines Freundes. Die Beziehung zwischen dem Propheten und Gott ist also alles andere als gestört oder zerstört. Die Störung liegt woanders. Das enthüllt Jesaja poetisch eindrücklich am Ende des Gedichts. Wären nur alle Untergangsmeldungen und Unheilsansagen so lyrisch gestaltet. Die Metapher aus dem Weinbau bringt gut zur Geltung, was Jesaja seinen Zeitgenossen ankündigt und theologisch durchdacht erscheint es mir auch noch. Gott ist dabei nicht die Ursache der Zerstörung. Der Weinberg hat keine Frucht gebracht. Wunderschön angelegt, umhegt, umzäunt und umsorgt kommen nur saure Trauben. Der Weinberg wurde als wichtige Kulturlandschaft mühevoll dem chaotischen Ödland abgetrotzt, gepflegt und geschützt. Doch da der Ertrag schlecht ist, hebt Gott einfach die Begrenzungen zwischen dem Chaos und dem geordneten Kulturraum auf. Die Chaosmächte können zurückkehren, die Gottes Ebenbilder eigentlich in Schach hätten halten sollen. Das Eindringen der Chaosmächte haben die Einwohner Judas selbst zu verantworten: Rechtsbruch und die Schreie der Unterdrückten und Entrechteten nach Hilfe dringen zu Gott. Schöpfung ist im biblischen Kontext von Gen 1 mehr als die Erde, die unberührte Natur. Schöpfung ist ein nach Recht und Gerechtigkeit geordneter Lebensraum, somit auch ein nach Recht und Gerechtigkeit geordneter Sozialraum, ein geregeltes gelingendes, verantwortliches Zusammenleben von Geschöpfen. Die Anspielungen an die zweite Schöpfungsgeschichte (Gen 2-3) mit Dornen und Disteln / Unkraut, Arbeit und Schweiß sind auch nicht zu übersehen. Ungerechte politische Entscheidungen stellen Gottes ganzen Schöpfungsplan in Frage. Hier geht es um ein rechtloses System, das voller Lebensfeindlichkeit und zerstörerischer Kraft ist, dem sogar Gott nichts mehr entgegensetzen will, außer dass er die Zerstörung beschleunigt, indem er seinem Volk die schützende Fürsorge entzieht. 

Jesaja war etwas anders als seine Berufskollegen im Nordreich, die unabänderlich den Untergang verkündeten. Jesaja bezieht mit diesem Lied sogar seine Zuhörenden in die Entscheidung mit ein. Sie werden gefragt, wie sie mit einem solchen Weinberg, der trotz guter Pflege und Bewirtschaftung keinen guten Ertrag bringt, umgehen würden. Und jeder der damaligen Zeitgenossen, die Ahnung vom Weinbau hatten, hätten so entschieden, wie Gott nun über sein eigenes Volk entscheiden muss: aufgeben, dem Verfall und der Zerstörung preisgeben. 

Doch Jesajas poetische Linie lässt noch etwas Hoffnung, es ist keine radikale Unheilsansage, es steckt mehr Mahnung und Warnung darin. Jesaja erklärt die Metapher, erläutert Hintergründe, erwähnt was Gott eigentlich von seinem Volk erwartet, nämlich den Unterdrückten und Armen Recht zu schaffen und sich an die Tora als Weisung für gelingendes Leben in Freiheit und Würde zu orientieren. JHWHs Volk leitet sich ab von der freien Wahl dieses Gottes, dieses Volk aus der Unterdrückung befreit und in eine neue Heimat geführt zu haben, in der es allen gut geht und das Leben in Freiheit und sozialer Gerechtigkeit gestaltet wird. Wenn dieses Volk sich diese Grundlage ihres Lebens selbst nimmt, indem politische Verantwortliche nicht mehr an sozialer Gerechtigkeit, Fürsorge für Schwächere interessiert sind, sogar Versklavung aufgrund von Schuldknechtschaft um sich greift und ein Teil des Volkes nicht mehr frei sein kann, muss es sich nicht wundern, wenn auch JHWH aufgibt und dieses Volk dem vom Volk selbst eingeläuteten Prozess der Zerstörung preisgibt. 

Das Weinberglied verknüpft mit dem Evangeliumsabschnitt aus Mt 21 birgt in sich die Gefahr, antijudaistisch verstanden und ausgelegt zu werden. In der Zeit des Evangelisten Matthäus und seiner Gemeinde war dieser Vergleich mit dem Weinberg, der anderen gegeben wird, die die Früchte des Reiches Gottes hervorbringen, eine Gelegenheit, den tiefen Schmerz des Evangelisten über die Trennung zwischen jüdischer und christlicher Richtung, dem Ausschluss aus dem Synagogenverband zu verarbeiten. Doch es gibt keine Legitimation, sich als Christentum über das Judentum zu erheben als die Religionsgruppe, die die Früchte des Reiches Gottes hervorbringt. Vielmehr müssen wir, was Matthäus sicher auch heute noch von uns fordern würde, uns genau wieder das Weinberglied Jesajas anschauen und uns fragen: Wo nehmen wir uns als Christinnen und Christen gerade selbst die Grundlage unserer Würde als Gottes erwähltes Volk, seine heilige Priesterschaft? Und da frage ich mich schon auch, ob wir nicht auch einen Denkzettel der Zerstörung brauchen, um in so mancher Zerstörung wieder neu zu entdecken, wie dankbar wir eigentlich sein dürften über diesen sorgenden, Orientierung gebenden und Freiheit ermöglichenden Gott. Zerstörungen sind Denkzettel, auch das verbrannte Camp auf Moria. Dass es auf einem Gebiet der EU wieder Lager gibt, in denen Menschen gefangen gehalten werden, tagelang nichts zu essen und zu trinken bekommen… Ich dachte, das würden wir nach 1945 nie mehr zulassen. Wir haben Menschen auf dem Gebiet der EU einige ihrer grundlegenden Menschenrechte entzogen, ihre Hilfeschreie dringen zu Gott. Was soll Gott jetzt tun angesichts des Rechtsbruchs? Ihr Frauen und Männer ich frage Euch, was tätet nun ihr da? 

Stille

Evangelium nach Mt 21,33–42.44.43

Sendung, Auftrag, Segen
Lehr mich dankbar zu sein, auch wenn die Welt im Chaos versinkt, wenn Ungerechtigkeit stärker zu sein scheint als das Recht, Autorität mächtiger als Freiheit. 

Lehr mich dankbar zu sein, auch wenn ich nicht weiß, was morgen kommt, wohin der Weg mich führt, ich verunsichert bin.

Lehr mich dankbar zu sein, auch wenn ich Rückschläge verkraften muss, ich mit Zerstörerischem konfrontiert bin, der Ausweg unendlich weit weg erscheint.

Lehr mich dankbar zu sein, auch wenn andere über mich bestimmen, ich Angst habe, Vertrauen zu schenken, ich mich ungerecht behandelt fühle.

Lehr mich dankbar zu sein, auch wenn ich mir schwertue, an Dich und Deine Güte und Liebe zu glauben, auf Deine Kraft für die Gerechtigkeit und den Frieden zu bauen, mich ganz auf Dein Reich einzulassen. 

Lehr mich dankbar zu sein, heute für das, was vergangen ist und für das, was die Zukunft noch verspricht, lehr mich dankbar zu sein für mein Leben und für Deinen Segen.

Mit diesem Segen will ich es wagen, Recht, Frieden, Hoffnung. 

So lasst uns gehen in die neue Woche behütet, begleitet und beschützt mit dem Segen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. AMEN.
 

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