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Impuls zum 21. März 2021

Zum 5. Fastensonntag

Von Klaus Hagedorn, Oldenburg, pax christi Diözesanverband Münster

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt…“
Erinnerung an Rutilio Grande SJ und Oscar A. Romero

Ein Wort zuvor…
In diesen Corona-Krisenzeiten kann man immer beides entdecken: Schlechtes und Gutes, Gefährliches und Rettendes. Wir Menschen zeigen uns, wie wir wirklich sind. Die einen lassen sich in Dienst nehmen für andere, gehen in Hoffnung nächste Schritte, halten ihre Sinne wach. Die anderen machen dicht, schließen sich ein oder bereichern sich sogar.

Es gibt da die alte Erzählung vom barmherzigen Samariter. Wenn der Levit und der Priester an einer Person vorbeigehen, die verzweifelt und geschlagen auf der Straße liegt, dann machen sie dicht, wollen ihre Rolle und ihren Status bewahren. Der Samariter sieht, hält an, geht näher, betritt die Welt des verwundeten Mannes, wirft sich selbst in dessen Notsituation – und schafft so neue Zukunft. In einer Krisensituation wie der Samariter zu handeln bedeutet für mich, sich von dem, was ich sehe und höre, berühren zu lassen – und zu wissen und zuzulassen, dass das Wahrgenommene mich selbst auch verändern wird. 

Als Christ heißt das für mich: das „Kreuz aufnehmen und annehmen“ – das Kreuz annehmen in der Zuversicht, dass eine Situation verwandelt werden kann durch konkretes Zupacken, dass neue Perspektiven aufleuchten können. Ich werde frei und bekomme Mut, beizustehen und Veränderung geschehen zu lassen, die nur durch Mitgefühl, Nähe und Taten entstehen kann. Es ist ein Handeln mit „Weizenkorn“-Mentalität, die im Evangelium des 5. Fastensonntags 2021 angesprochen ist. (Johannes 12, 24-26)

Ich möchte an zwei Menschen erinnern, die beide eine solche samaritanische Haltung und diese „Weizenkorn“-Mentalität zu leben lernten: Es sind Rutilio Grande SJ (1928-1977) und Monseñor Oscar Arnulfo Romero (1917-1980). 

Ihre Todestage liegen in diesen März-Tagen. Beide stammen aus El Salvador; beide traten für soziale Gerechtigkeit und politische Reformen in ihrem Land ein und stellten sich damit in Opposition zur Militärdiktatur; beide haben das offene Wort und die persönliche Gefahr nicht gescheut; beide haben dafür gekämpft, dem Leben samaritanisch-solidarisch zu dienen, statt zu zerstören; beide sind dafürgestanden, Liebe zu üben, statt Gewalt auszuüben; beide haben dafür mit ihrem Leben bezahlt. Von den Machthabern des Landes angeheuerte Mörder brachten beide heimtückisch um: Rutilio Grande am 12.3.1977 und Oscar Romero am 24.3.1980. Beide sind zum Symbol für ein Christsein geworden, das auch mitten in Zeiten tödlicher Konflikte mit Mut die je größere Gerechtigkeit Gottes ansagt; sie stehen für eine Kirche, die kompromisslos für Gerechtigkeit und Frieden einsteht. Für beide war die Orientierung am „Weizenkorn“ lebens- und handlungsbestimmend und Trost und Mut gebend; „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ 

Angesprochen: Die Sehnsucht nach Leben in Fülle
Sehnsucht

Die Sehnsucht
lässt die Erde
durch die Finger rinnen

alle Erde dieser Welt

Boden suchend
für die Pflanze Mensch

(Hilde Domin)

Eine Erinnerung aus dem Zweiten Testament:  Johannes 12, 24-26
„Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. Wer sein Leben liebt, verliert es, wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben. Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.“

Rutilio Grande SJ (1928-1977)
Rutilio Grande war ein Jesuit und Befreiungstheologe, ein Freund des 1980 ermordeten Märtyrer-Erzbischofs Oscar Romero und des heutigen Papstes Franziskus. 

Er war seit 1972 Pfarrer von Aguilares und wohnte dort in einer kleinen Kommunität unter den Leuten; dort lebten Kleinbauernfamilien auf wenig fruchtbarem Land und fanden nur während der Zuckerrohrernte schlecht bezahlte Arbeit auf den im Tal liegenden Plantagen. Am 12. März 1977 wurde Rutilio mit seinen zwei Begleitern, dem Küster Manuel Solorzano sowie dem16-jährige Nelson Rutilio Lemus, heimtückisch ermordet. Die Organisation der Großgrundbesitzer bekannte sich zu dieser Tat. Sie ist bis heute in El Salvador ohne strafrechtliche Konsequenz geblieben. Alle drei werden in diesem Jahr in El Salvador seliggesprochen – als Blutzeugen. Dabei geht es nicht um eine anmaßende Sakralisierung von Menschen durch menschliche Instanzen. Es geht dabei um eine Beatifikation im Sinne der Seligpreisungen der Bergpredigt: „Selig sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.“ (Matthäus 5,10)

Rutilio hatte durch seinen Orden die Möglichkeit bekommen, vor seinen letzten Gelübden als Jesuit sein pastorales Handeln zu reflektieren. Dies tat er am Internationalen Katechetischen Institut Lumen Vitae in Brüssel. Es war die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965). Ihm ging auf, dass kirchliche Arbeit sich zu orientieren habe am Gedanken einer größtmöglichen Partizipation: „Nicht autoritär, vertikal, sondern horizontal vorgehen, um so möglichst viele zu aktiver Verantwortung zu ermutigen.“ Zum weiteren wurde ihm am Lateinamerikanischen Pastoralinstitut IPLA in Quito/Kolumbien und im Kennenlernen der Indio-Pastoral von Bischof Leonidas Proaño in Riobamba/Ecuador deutlich, dass kirchliche Arbeit Bewusstseinsbildung im Blick auf die konkrete Situation von Abhängigkeit, Unterdrückung und Gewalt zu bedeuten hat, dass es der Kirche also um „umfassende Befreiung der Menschen“ zu gehen hat. 

Rutilio setzte sich für bessere Lebensverhältnisse der Landarbeiter- und Kleinbauernfamilien ein. Er kämpfte gegen Landvertreibungen. Im gemeinsamen Bibellesen mit den Campesinos kamen die Alltagserfahrungen zur Sprache mit ihren Bezügen zum Evangelium; das öffnete die Augen für eine notwendige Solidarisierung, um die Lebensumstände, z.B. die hohe Kindersterblichkeit, konkret zu verändern. Rutilio ermutigte, sich genossenschaftlich und gewerkschaftlich zu organisieren. Er kritisierte die Konzentration von Vermögen in den Händen weniger. Das alles hieß für ihn „Option für die Armen“; sie war für ihn risikoreich und gefährlich; denn er erhielt Morddrohungen und Anschuldigungen. Oft entfaltete er in seinen Predigten die Überzeugung: „Gott liegt nicht im Himmel weit oben in einer Hängematte, sondern er ist mitten unter uns. Für ihn ist es wichtig, ob es den Armen hier unten schlecht geht oder nicht.“ Für Rutilio stand fest: Es ist faktisch illegal, echter Christ zu sein in unserer Mitte, in unserem Land.“ 

In einer seiner letzten Predigten in Aguilares sagte er: „Ich fürchte sehr, dass die Bibel und das Evangelium bald vor unseren Grenzen haltmachen müssen, weil jede ihrer Seiten subversiv ist. Sehr fürchte ich, dass, wenn Jesus von Nazareth zurückkehrte und wie in jener Zeit von Galiläa nach Judäa hinunterzöge, d.h., wage ich zu sagen, von Haradenango nach San Salvador, dass er in diesem Moment mit seinen Predigten und Werken nicht bis Apopa käme. Ich glaube, er würde aufgehalten auf der Höhe von Guazapa. Dort würde er festgenommen und in den Kerker geworfen. Sie würden ihn vor manches Hohe Gericht bringen als Verfassungsbrecher, als Subversiven. Der Gottmensch, er würde der Revolution angeklagt, als ausländischer Jude, als Ränkeschmied mit fremden exotischen Ideen, gerichtet gegen die Herrschenden, die bei uns ja eine Minorität sind. 

Gottesfeindlicher Ideen würden sie ihn bezichtigen, weil sie ein Clan von Kains sind. Ohne Zweifel, sie würden ihn heute wieder kreuzigen.“ (Vgl. Ludwig Kaufmann, Damit wir morgen Christ sein können, Freiburg 1984, 121f)

Oscar Romero (1917–1980)
Der Mord an Rutilio Grande und seinen zwei Begleitern wurde für Monsenor Oscar Romero – drei Wochen nach seinem Amtsantritt als Erzbischof von San Salvador – zum entscheidenden Anstoß, seinen Ort neu zu finden und konsequent Partei für die Armen und Unterdrückten zu ergreifen. Zuvor hatte er in einer solchen Parteinahme oft eine nicht zu rechtfertigende "Politisierung" der Kirche gesehen. Rutilio Grande ist sozusagen das „Wunder Romero“. Sein Tod leitete seine „Bekehrung zu den Armen“ ein; Oscar Romero selbst beschrieb es als seine „Entwicklung“. Aus einem ängstlichen und weltabgewandten Kirchenmann wurde ein prophetischer Verteidiger der Menschenrechte. 

In Romeros letztem Gottesdienst am 24.3.1980 wurde das Weizenkorn-Evangelium gelesen. Romero legte es wie folgt aus:  „Wir haben gerade die Worte Christi gehört. Es ist zwecklos, sich vor den Gefahren des Lebens zu hüten. Die Geschichte stellt uns Menschen in diese Gefahren, und wer ihnen ausweichen will, verliert sein Leben. Wer sich hingegen aus Liebe zu Christus in den Dienst der anderen stellt, der wird leben, wie das Weizenkorn, das stirbt, jedoch in Wirklichkeit lebt. Stirbt es nicht, so bleibt es allein. Die Ernte setzt das Sterben voraus. Nur was sich auflöst, trägt Frucht.

Das Evangelium lehrt uns, dass es dem Menschen nichts nützt, die Welt zu gewinnen, wenn er sich selbst verliert. Dessen ungeachtet soll man trotz der Hoffnung auf ewiges Leben nicht aufhören, sich um die Neugestaltung dieser Erde zu bemühen. Diese Arbeit steht in enger Beziehung zum Reiche Gottes. Das Reich Gottes ist bereits im Keim auf der Erde gegenwärtig. Wenn der Herr kommt, wird es sich vollkommen verwirklichen. Dies ist die Hoffnung, aus der wir Christen leben. Wir wissen, dass jedes Bemühen um eine Besserung der Gesellschaft, besonders wenn sie so sehr wie die unsrige in Ungerechtigkeit und Sünde verstrickt ist, von Gott verlangt und gesegnet wird.“ 

Kurz nach diesen Worten fiel der tödliche Schuss in der Kapelle des Krankenhauses Divina Providencia in San Salvador. 

Oscar Romero lebte eine Weizenkorn-Mentalität. Er entdeckte, dass der Lebenssinn nicht darin liegt, ständig um sich selber zu kreisen. „Ich verliere so das Leben“, sagte er.  „Es ist ja oft die Angst, nicht zu genügen, nicht anerkannt, nicht geliebt zu sein, die ein ständiges Kreisen um mich selbst bewirkt.“ Romero verstand auf neue Weise: „Nicht mich selbst muss ich verlieren, sondern die Lebensangst.“ Er hatte Angst, sich anzulegen mit den Mächtigen in seinem Land, gleichwohl er sah, was passierte, aber er deutete alles so für sich, dass er nicht aktiv werden musste, sich aus allem heraushalten konnte. Das änderte sich erst mit dem Mord an Rutilio Grande, mit dem befreundet gewesen war. Unermüdlich und unerschrocken prangerte er nun die Unterdrückung, die Gewalt und die Ausbeutung in seinem Land an.

Und er verlor damit das Wohlwollen der Herrschenden; er wurde zum Feind erklärt, erhielt viele Morddrohungen. Er litt darunter; aber er wurde auch frei, ein freier Mensch. Als er in das Dorf Aguilares gerufen wurde, in dem die Armee gewütet hatte, begann er seine Predigt mit folgenden Worten: „Es ist meine Aufgabe, Gewalttätigkeiten festzuhalten und Leichen aufzusammeln.“ Eine überraschende Beschreibung für das Amt eines Bischofs. Und er klagte die Armee an, das Dorf in ein Gefängnis und eine Folterkammer verwandelt zu haben.

Als man ihn kurz vor seinem Tode fragte, was er tun würde, wenn der Bürgerkrieg voll zum Ausbruch kommen würde, antwortete er: „Ich werde ganz sicher hierbleiben, beim gekreuzigten Volk von El Salvador, auch wenn es nur dazu dient, Sterbende zu segnen und Tote zu begraben“.

Als man ihn ansprach, was in seinen Augen wirkliche Hilfe für El Salvador sei, sprach er zwar unter anderem vom Gebet und von finanzieller Hilfe, aber er erwähnte deutlich die Voraussetzung für beides: „Vergessen Sie bitte nicht, dass wir Menschen sind!“ 

(Predigtzitate übersetzt aus: Monsenor Oscar A. Romero, Homilias, Bd I-VII, UCA Editores, San Salvador)

Was sich auflöst, trägt Frucht
Leben und Glauben bedeuteten für Rutilio Grande und für Oscar Romero vor allem, gemeinsam mit den Armen Mensch sein zu wollen. Sein Leben einzusetzen, hatte zum Ziel, das Menschsein zu verteidigen und zu unterstützen. „Die Ehre Gottes ist der Arme, der lebt!“ sagte Romero oft. 

Was ich an beider Lebens- und Glaubensgeschichte für mich ablese: Hingabe ist Gewinn; man rettet nur, was man gibt; erst das Loslassen ermöglicht neues Leben, neues Wachstum. 

Der Gott Jesu, an den auch ich zu glauben suche, geht an den offenen Wunden nicht vorbei; er trägt sie selbst, und er hat die Kraft, sie zu verwandeln – wie das Weizenkorn, das tief in den Boden fällt und reiche Frucht bringt. Deshalb hat christlicher Glaube immer auch mit Gewaltanschauung zu tun. Das Bild des Glaubens ist nicht der strahlende Held, der Gewinner mit dem Lorbeerkranz, sondern es ist der Gekreuzigte, der tief am Boden Liegende, der Verwundete und Durchbohrte. Er gibt sein Leben, damit andere, damit wir leben können. 

Sehnsucht nach mehr Leben in erfahrener Not
Lass mich nicht bitten,
vor Gefahr bewahrt zu werden,
sondern ihr furchtlos zu begegnen; 

lass mich nicht erflehen
das Ende der Angst und der Schmerzen, 
sondern das Herz, das sie besiegt; 

lass mich auf dem Kampffeld des Lebens
nicht nach Verbündeten suchen,
sondern nach meiner eigenen Stärke; 

lass mich nicht in Sorge 
und Furcht nach Rettung rufen,
sondern hoffen, dass ich Geduld habe,
bis meine Freiheit errungen ist; 

gewähre mir, dass ich kein Feigling sei,
der deine Gnade nur im Erfolg kennt; 
lass mich aber den Halt deiner Hand fühlen,
wenn ich versage.

Zugeschrieben: Rabindranath Tagore

„Es geht! Anders“: MISEREOR-Kollekte am 5. Fastensonntag
Mit einem dringenden Appell bittet MISEREOR um die Unterstützung durch Spenden am 5. Fastensonntag – zum zweiten Mal unter Corona-Bedingungen. 

„In diesen Wochen gibt es von Partnerorganisationen aus Ländern Lateinamerikas und Afrikas oft die Nachricht, dass sich die Lage für die Menschen aufgrund der Corona-Pandemie zuspitzt und viele nach einem Jahr Pandemie in extreme Armut abrutschen oder zu früh sterben. Vielerorts geht es ums Überleben, um Nahrung, um das nächste Stück Brot“, so Pirmin Spiegel von MISEREOR.

MISEREOR Spendenkonto: bei Pax-Bank Aachen: 
IBAN: DE75 3706 0193 0000 1010 10
 

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