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Heinz Missalla

31. Aug 2016

Theologischer Aufklärer, Erforscher der kirchlichen Kriegsassistenz und Friedensarbeiter

Von Peter Bürger

Heinrich Missalla, geboren 1926 in der Arbeiterstadt Wanne-Eickel, gehörte von 1986 bis zum Jahr 2000 dem Präsidium der deutschen Sektion der Internationalen Katholischen Friedensbewegung pax christi an. 

Zwischen 1987 und 1996 ist er auch Geistlicher Beirat unserer Bewegung gewesen. Sein Einsatz für den Frieden reicht freilich viel weiter zurück. Als Hintergrund kommt in der Autobiographie „Nichts muss so bleiben, wie es ist“ (2009) eine Jugendzeit im Krieg zur Sprache: „Mit dem 15. Februar 1943 – kurz nach dem Ende der Schlacht um Stalingrad – wurde ich gezwungen, bei der leichten Flak-Abteilung 839 als Luftwaffenhelfer anzutreten. Mit 16 Jahren mussten wir Schüler Soldaten ersetzen, die an der Front gebraucht wurden.“

Im Herkunftsmilieu Missallas wussten auch die Jungen, dass die Nationalsozialisten Feinde des Christentums waren und aufmüpfige Katholiken ins KZ sperrten. Doch man wollte gleichermaßen „treu deutsch und gut katholisch“ sein. Bilder von Heldentum, Tapferkeit und Opfer spielten in der Jugendarbeit eine große Rolle. Oben und entsprechend auch unten in der Kirche waltete fast durchgehend eine Schizophrenie. Man glaubte Hitler aufspalten zu können in den Führer der NSDAP und in den obersten Staatsmann, bzw. Kriegsherrn. Über das Soldatenhandwerk des Tötens von Menschen wurde in Glaubenskreisen nicht gesprochen.  Gehorsam gegenüber der Obrigkeit galt als Katholikenpflicht. 

Zweifel an katholischer Kriegskonstruktion
Nach Kriegsende bleibt der Jungsoldat Heinz Missalla bis Juni 1946 in Gefangenschaft, überwindet eine schwere Erkrankung und zweifelt an den katholischen Kriegskonstruktionen. Seit seiner Entlassung aus dem berühmten, von Franz Stock geleiteten „Stacheldrahtseminar“ für deutsche Kriegsgefangene in Chartres, hat ihn die Frage nach dem Frieden nicht mehr losgelassen. Wie tief sein Ringen noch nach sieben Jahrzehnten von den Schrecken, Wunden und Widersprüchen der Vergangenheit bestimmt ist, konnten wir auf dem Katholikentag 2014 beim pax christi-Podium »Weltkriege: Verpasste Friedenschancen der Kirche« auf sehr menschliche Weise spüren. Die Verehrung für Franz Stock, den in Paris ungezählte französische Hinrichtungskandidaten als einen „Engel in der Besatzungshölle“ erlebt hatten, dauert übrigens bis heute an.

Mitte der 1950er Jahre wird der junge Priester Mitglied von pax christi, verspürt jedoch Unbehagen am sehr unpolitischen und zahmen Kurs der Bewegung. Kirchenleitung, katholische Verbände und Theologen unterstützen fast ausnahmslos die Wiederaufrüstung der Adenauer-Ära samt der nachfolgenden Pläne einer atomaren Bewaffnung. Missalla gehört zu den ungeliebten „Non-Konformisten“. Mit seiner Pionierstudie „Gott mit uns“ (1968) über die deutsche katholische Kriegspredigt 1914-1918 beleuchtet er den ersten Abgrund kirchlicher Kriegsassistenz im 20. Jahrhundert. Das erschlossene Material kann nur als Blasphemie bezeichnet werden.

Redeverbot in kirchlichen Akademien
In den 1970er Jahren folgen gründliche Forschungen zur katholischen Militärseelsorge in Hitlers Wehrmacht, die zu drei weiteren Buchprojekten führen: „Für Volk und Vaterland“ (1978), „Wie der Krieg zur Schule Gottes wurde“ (1997) und „Die Verstrickung der katholischen Seelsorge in Hitlers Krieg“ (1999). – Erst solche Aufklärungsarbeit über die gruseligen Schatten der neueren Kirchengeschichte macht es uns heute möglich, das Zeugnis eines Seligen wie Franz Jägerstätter angemessen zu „würdigen“. – Missalla wird bei kritischen Katholiken im ganzen Land bekannt.

Zwischen 1970 und 1995 reist er durch die Republik und hält rund 200 Vorträge und Seminare. Reformimpulse und ungeschönte Geschichtserinnerung sind jedoch nicht überall erwünscht. Es kommt zum Redeverbot in kirchlichen Akademien. Von Anfang an nimmt Heinz Missalla, bestärkt auch durch Freunde in der DDR, aktiv an der Ökumenischen Bewegung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung teil. Bei der Blockade der Raketenstation Mutlangen im September 1983 erlebt er, wie gemeinschaftliche Schweigepausen kontroverse Diskussionen von fast 100 Teilnehmenden auf eine neue, gute Ebene bringen. Geweckt wird hier ein dringliches Bedürfnis, den Spuren einer neuen, gewaltfreien Bewegungskultur nachzugehen.

Doch der Blick auf die Vergangenheit bleibt ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Als Hitlerdeutschland Polen überfiel, um dort alsbald auch zahllose katholische Intellektuelle und hunderte Priester zu ermorden, hatten an deutschen Kirchen die „Siegesglocken“ geläutet. Die Predigt fast aller Hirten für Soldatengehorsam im Hitler-Heer hielt bis zum Schluss an. Warum war es danach so schwer für die deutschen Bischöfe, fürchterliche Irrtümer einzugestehen und öffentlich um Vergebung zu bitten?

Dem Zeitzeugen Heinz Missalla geht es hier nicht um Abrechnung und Selbstgerechtigkeit. Deshalb trägt sein jüngstes Buch zu diesem Thema den Titel „Erinnern um der Zukunft willen“ (2015). Wachgehalten werden soll der Traum von einer Kirche, die nie wieder einer Militärdoktrin den Segen erteilt und in all ihren Vollzügen eine unerhörte Leidenschaft freisetzt für den Frieden, also für die einzig denkbare Zukunft aller Menschenkinder. Auf der Internetseite paxchristi.de sind eine Neuauflage des Buches „Gott mit uns“ von Heinrich Missalla und seine Beiträge im Sammelband „Es droht eine schwarze Wolke“ abrufbar.

Peter Bürger ist pax christi-Mitglied und Autor vieler Friedensschriften und Betreiber von friedensbilder.de

Dieser Artikel ist erschienen in der der pax_zeit 2_2016