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Missalla, Heinrich, quer.jpg

pax christi trauert um Heinz Missalla

05. Okt 2018

Wir sind dankbar für sein Leben und Wirken und unsere Zeit mit ihm - *26. Juni 1926 + 3. Oktober 2018

Der pax christi Bundesvorstand trauert um den früheren Geistlichen Beirat der pax christi-Bewegung Prof. Dr. Heinrich Missalla, der am 3. Oktober 2018 zuhause friedlich eingeschlafen und gestorben ist. 

Der Termin der Trauerfeier ist Freitag, 19.10.2018, 11.00 Uhr, Parkfriedhof Essen.


Heinrich Missalla, geboren 1926 in der Arbeiterstadt Wanne-Eickel, gehörte von 1986 bis zum Jahr 2000 dem Präsidium der deutschen Sektion der Internationalen Katholischen Friedensbewegung pax christi an. Zwischen 1987 und 1996 war er Geistlicher Beirat der Bewegung.

Heinrich Missalla war mit Herz und Verstand ein starker Streiter für den Frieden. Seine Erfahrungen als Soldat im II. Weltkrieg haben sein Leben und sein Wirken geprägt. Seine Erfahrungen in der katholischen Kirche während der Zeit des Nationalsozialismus haben ihn zu konsequentem Erforschen und Hinterfragen des Verhaltens der deutschen katholischen Kirche zum nationalsozialistischen Krieg gebracht. In seinen Büchern hat Missalla vergessene oder verdrängte Bischofsworte aus Kriegszeiten in Erinnerung gerufen. Er stellte dar, wie die Kirchenleitung in den Jahrzehnten nach den Kriegen mit jenen Äußerungen umgegangen ist. Als einer derjenigen, die damals den Befehlen und Weisungen ihrer Vorgesetzten in Kirche und Staat gefolgt sind, war er eine wichtige Stimme, die die Übernahme von Verantwortung für das Verhalten der damaligen Kirchenführer in Deutschland einforderte.
 
Bei einem pax christi-Studientag im Jahr 2009 formulierte er die bittere Erkenntnis: „Indem die Bischöfe den verbrecherischen Krieg Hitlers für gerechtfertigt hielten – und davon müssen wir ausgehen, wenn wir ihnen nicht eine bewusste Irreführung der Gläubigen unterstellen wollen -, haben sie sich in der Beurteilung der Situation schwerwiegend geirrt. Infolge dieses Irrtums haben sie die Gläubigen zum Gehorsam gegen die Staats- und Wehrmachtführung sowie zur aktiven Teilnahme an Hitlers Krieg verpflichtet. Sie haben damit objektiv den Krieg Hitlers unterstützt. Es muss wohl als tragisch bezeichnet werden, dass gerade diejenigen, die das NS-System zutiefst verabscheuten, eben dieses System durch ihren Einsatz im Krieg gestärkt und ihm zur Herrschaft über einen großen Teil Europas verholfen haben.“ 

Sein Einsatz für den Frieden reicht freilich viel weiter zurück. Als Hintergrund kommt in der Autobiographie „Nichts muss so bleiben, wie es ist“ (2009) eine Jugendzeit im Krieg zur Sprache: „Mit dem 15. Februar 1943 – kurz nach dem Ende der Schlacht um Stalingrad – wurde ich gezwungen, bei der leichten Flak-Abteilung 839 als Luftwaffenhelfer anzutreten. Mit 16 Jahren mussten wir Schüler Soldaten ersetzen, die an der Front gebraucht wurden.“ Im Herkunftsmilieu Missallas wussten auch die Jungen, dass die Nationalsozialisten Feinde des Christentums waren und aufmüpfige Katholiken in Konzentrationslager sperrten. Doch man wollte gleichermaßen „treu deutsch und gut katholisch“ sein. Bilder von Heldentum, Tapferkeit und Opfer spielten in der Jugendarbeit eine große Rolle. Oben und entsprechend auch unten in der Kirche waltete fast durchgehend eine Schizophrenie. Man glaubte Hitler aufspalten zu können in den Führer der NSDAP und in den obersten Staatsmann,   bzw. Kriegsherrn. Über das Soldatenhandwerk des Tötens von Menschen wurde in Glaubenskreisen nicht gesprochen. Gehorsam gegenüber der Obrigkeit galt als Katholikenpflicht.

Nach Kriegsende blieb der junge Soldat Heinz Missalla bis Juni 1946 in Gefangenschaft, überwand eine schwere Erkrankung und zweifelte an den katholischen Kriegskonstruktionen. Seit seiner Entlassung aus dem berühmten, von Franz Stock geleiteten „Stacheldrahtseminar“ für deutsche Kriegsgefangene in Chartres, hat ihn die Frage nach dem Frieden nicht mehr losgelassen. Wie tief sein Ringen noch nach sieben Jahrzehnten von den Schrecken, Wunden und Widersprüchen der Vergangenheit bestimmt ist, konnten wir auf dem Katholikentag 2014 beim pax christi-Podium »Weltkriege: Verpasste Friedenschancen der Kirche« auf sehr menschliche Weise spüren. Die Verehrung für Franz Stock, den in Paris ungezählte französische Hinrichtungskandidaten als einen „Engel in der Besatzungshölle“ erlebt hatten, dauert bis heute an. Mitte der 1950er Jahre wurde der junge Priester pax christi-Mitglied, verspürt jedoch Unbehagen am sehr unpolitischen und zahmen Kurs der Bewegung. Kirchenleitung, katholische Verbände und Theologen unterstützen fast ausnahmslos die Wiederaufrüstung der Adenauer-Ära samt der nachfolgenden Pläne einer atomaren Bewaffnung. Missalla gehört zu den ungeliebten „Non-Konformisten“. Mit seiner Pionierstudie „Gott mit uns“ (1968) über die deutsche katholische Kriegspredigt 1914-1918 beleuchtet er den ersten Abgrund kirchlicher Kriegsassistenz im 20. Jahrhundert. Das erschlossene Material kann nur als Blasphemie bezeichnet werden.

In den 1970er Jahren folgen gründliche Forschungen zur katholischen Militärseelsorge in Hitlers Wehrmacht, die zu drei weiteren Buchprojekten führen: „Für Volk und Vaterland“ (1978), „Wie der Krieg zur Schule Gottes wurde“ (1997) und „Die Verstrickung der katholischen Seelsorge in Hitlers Krieg“ (1999). – Erst solche Aufklärungsarbeit über die gruseligen Schatten der neueren Kirchengeschichte macht es uns heute möglich, das Zeugnis eines Seligen wie Franz Jägerstätter angemessen zu „würdigen“.  Missalla war kritischen Katholiken im ganzen Land bekannt. Zwischen 1970 und 1995 reist er durch die Republik und hielt rund 200 Vorträge und Seminare. Reformimpulse und ungeschönte Geschichtserinnerung waren jedoch nicht überall erwünscht. Es kam zum Redeverbot in kirchlichen Akademien. Von Anfang an nahm Heinz Missalla, bestärkt auch durch Freunde in der DDR, aktiv an der Ökumenischen Bewegung  für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung teil. Bei der Blockade der Raketenstation Mutlangen im September 1983 erlebte er, wie gemeinschaftliche Schweigepausen kontroverse Diskussionen von fast hundert Teilnehmenden auf eine neue, gute Ebene bringen. Geweckt wird hier ein dringliches Bedürfnis, den Spuren einer neuen, gewaltfreien Bewegungskultur  nachzugehen.

Der Blick auf die Vergangenheit blieb ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Als Hitlerdeutschland Polen überfiel, um dort alsbald auch zahllose katholische Intellektuelle und hunderte Priester zu ermorden, hatten an deutschen Kirchen die „Siegesglocken“ geläutet. Die Predigt fast aller Hirten für Soldatengehorsam im Hitler-Heer hielt bis zum Schluss an. Warum war es danach so schwer für die deutschen Bischöfe, fürchterliche Irrtümer einzugestehen und öffentlich um Vergebung zu bitten? Dem Zeitzeugen Heinz Missalla ging es nicht um Abrechnung und Selbstgerechtigkeit. Deshalb trägt sein jüngstes Buch zu diesem Thema den Titel „Erinnern um der Zukunft  willen“ (2015). Missalla behielt sich den Traum von einer Kirche, die nie wieder einer Militärdoktrin den Segen erteilt und in all ihren Vollzügen eine unerhörte Leidenschaft freisetzt für den Frieden, also für die einzig denkbare Zukunft aller Menschenkinder.

Im Gedächtnis und zu Ehren Heinrich Missallas hält die pax christi-Bewegung diesen Traum wach.