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Irmgard Rode

06. Okt 2015

Streitbare Pazifistin – „Legende der Menschlichkeit“.

Irmgard Rode (1911-1989) war in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die bekannteste Frau in der sauerländischen Kreisstadt Meschede. Viele sahen in ihr die Verkörperung einer „Legende der Menschlichkeit“. Die entschiedene Parteinahme dieser Frau zugunsten der Schwachen, Benachteiligten und Opfer von Gewalt ist jedoch keineswegs immer nur auf Zustimmung gestoßen. Eine Schülerin wollte im Interview von Irmgard Rode wissen, ob das vielfältige soziale Engagement in ihrem Lebensweg etwas Politisches gewesen sei. Die Antwort von damals enthält in knapper Form das Programm eines öffentlichen Wirkens jenseits von Lagerdenken: „Ja, ja, ich fühlte mich immer getrieben, politisch aktiv zu sein, nicht parteipolitisch, sondern: Politik ist eine Verpflichtung, das Leben zum Guten zu wenden und in diesem Sinne etwas zu tun.“

 

1949 ist Irmgard Rode als einzige Frau Mitglied einer Delegation des Landes NRW, die in der englischen Stadt Coventry Formen der kommunalen Selbstverwaltung und praktischen Demokratie kennenlernt. Dass Meschede später ein bedeutsamer Schwerpunkt internationaler Versöhnungs- und Jugendarbeit im Sauerland geworden ist, hängt aufs engste mit ihren Initiativen zusammen. Sie war Leitgestalt der „Freunde der Völkerbegegnung“ (mit englischen, französischen, polnischen, russischen Kontakten) und Initiatorin eines Internationalen Kinderhauses. Außerdem hat die Familie Rode in drei Jahrzehnten neben den eigenen Kindern „mehr als 40 sozialbenachteiligte, schwierige Kinder und Jugendliche über Monate oder Jahre aus eigener Initiative bei sich aufgenommen“.

 

Katholische Pazifisten und Gegner der Wiederaufrüstung

Nachdem im Frühjahr 1947 unweit von Meschede ein Massengrab von kurz vor Kriegsende ermordeten sowjetischen Zwangsarbeitern aufgefunden worden war, errichteten Mitglieder eines katholischen Männerkreises ein Sühnekreuz zum Gedenken an das Verbrechen. Dieses Zeichen stieß in der Kleinstadt auf erbitterten Widerstand einflussreicher Kreise. Den Eheleuten Rode war es seit den 1960er Jahren ein Herzensanliegen, jüngeren Christen von den Hintergründen des Sühnekreuzes zu erzählen. Sie haben entscheidenden Anteil daran, dass sich in Meschede am Ende doch nicht das Programm einer Verleugnung der Verbrechen des Faschismus durchsetzen konnte.

 

Irmgard und Alfons Rode, beide überzeugte katholische Pazifisten und Gegner der Wiederaufrüstung, waren pax christi von Anfang an verbunden. Die Bewegung hatte in ihrer Frühzeit allerdings kein ausgeprägtes friedenspolitisches Profil. Im Bistum Paderborn sorgten besonders auch Mitglieder aus dem Sauerland, einer ehemaligen Hochburg des Friedensbundes deutscher Katholiken, für entschiedene Standorte. Meschede taucht in den Bistumschroniken von pax christi immer wieder als Wohnort ermutigender Friedenskatholiken auf, so für die Phase eines Neuanfangs nach 1959 und in Zusammenhang mit den bundesweit ausstrahlenden, sehr politischen Entwicklungen ab den 1970er Jahren.

 

Weg des Friedens ist ein mühsamer und ungewöhnlicher Weg

Zur Mescheder Friedenswoche im November 1981 schrieb Irmgard Rode: „Der Weg des Friedens ist ein mühsamer und ungewöhnlicher Weg, ohne Marschmusik und Heldenehrung, ohne Kommandos und lautstarke Töne. Aber er ist ein neuer Aufbruch in eine neue Richtung. Bisher ging alles in Richtung Stärke und Macht. Der Friedensweg geht in Richtung Verständigung, Selbstlosigkeit und Brüderlichkeit im Sinne des Evangeliums.“ Sie war sehr froh, dass das Sauerland damals von Anfang an erfasst wurde von der neuen Bewegung für Frieden und Abrüstung. Ein Beitrag aus der Kirchenzeitung „Der Dom“ (1983) spiegelt ihre klare Haltung in den Auseinandersetzungen der 1980er Jahre wieder: „Die Botschaft der 72jährigen ist schlicht und doch so umstritten: ‚Schluss mit dem Rüstungswahnsinn‘.“ Als Sprecherin der pax christi-Ortsgruppe koordiniert sie Friedenswochen und -veranstaltungen, steht selbst hinter Info-Ständen und wirbt neue Mitglieder. „Es gibt derzeit nichts wichtigeres als den Kampf gegen immer neue Raketen“ Da „wieder einmal an der Rüstungsspirale gedreht werden soll“, geht sie für ihre Meinung auch auf die Straße. Den Streit der Theologen und Politiker über die Frage, ob denn die Bergpredigt für das diesseitige oder das jenseitige Leben geschrieben sei, tut sie mit einer Handbewegung ab: „Für das Jenseits? Dann brauchen wir sie nicht mehr!“

 

Überzeugend war Irmgard Rode für uns Jüngere, weil sie fern vom bloßen „Politaktionismus“ Begegnungen von Menschen in den Mittelpunkt rückte, uns mitten im Kalten Krieg ins Gespräch mit einem Professor aus der Sowjetunion brachte und gleichzeitig vor Ort das Zusammenleben spürbar veränderte. Ich sehe sie noch – schon betagt und schwer sehbehindert – auf ihrem täglichen Weg zum Kinderhaus. Dort warteten „ihre Zöglinge“, deren Eltern aus vielen Ländern kamen. Ihnen hat sie ein Lied gewidmet: „Kinder wollen keinen Krieg [...]. Alle Kinder dieser Welt, / alle wollen Freunde sein, / auf der großen weiten Welt / ist dann keiner mehr allein.“

 

Im Rahmen einer Reihe „Friedenslandschaft Sauerland“ ist auf www.sauerlandmundart. de (daunlots Nr. 75 und 76) eine umfangreiche Dokumentation über Irmgard Rode erschienen.

  

Irmgard Rode stammte aus einer katholischen und pazifistischen Lehrerfamilie in Münster-Kinderhaus. Ihr Vater war schon während der Weimarer Republik im Friedensbund deutscher Katholiken aktiv und stand in Kontakt mit Franziskus Stratmann, Nikolaus Ehlen, Josef Rüther und Walter Dirks. Ab Ende 1940 und auch noch nach Niederwerfung des Nationalsozialismus muss Irmgard Rode als Mutter von drei Kindern in Meschede zunächst ohne ihren Mann die Familie durch den Alltag bringen. Gleichwohl hilft sie gegen Kriegsende im örtlichen Soldatenlazarett und gehört 1945-1948 dem Stadtrat an. Ab 1946 kommen über Meschede viele tausend Flüchtlinge aus dem Osten ins Hochsauerland. Nach ihrer Ankunft am Bahnhof erfolgt zunächst die Unterbringung in denkbar primitiven Barracken auf den Ruhrwiesen. Irmgard Rode erlebt, wie bei Dunkelheit eine große Gruppe Schlesier aus dem Zug aussteigt: „Ich fühlte mich da angetrieben, etwas zu tun. Irgendwie erschütterte mich das Schicksal dieser Menschen, und ich war sozusagen eine freiwillige Helferin, die sich bemühte, ihnen zu helfen, ihre Situation zu bewältigen.“


Peter Bürger