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Deutsche Doppelstandards beim Völkerrecht?

30. Jun 2020

Erklärung des Geschäftsführenden pax christi-Bundesvorstands zur geplanten Annexion von Teilen des Westjordanlandes

Die deutsche Sektion der internationalen katholischen Friedensbewegung pax christi erwartet von der Bundesregierung klare politische Schritte gegen die Pläne der israelischen Regierung, weite Teile des besetzten palästinensischen Westjordanlandes zu annektieren

Am 1. Juli will die israelische Regierung Gesetze zur Annexion von Teilen des Westjordanlands vorlegen. Damit sollen alle 132 Siedlungen mit ca. 440.000 Israelis und das Jordantal, der fruchtbarste Teil Palästinas, annektiert werden.

pax christi sieht eine solche Annexion wie fast die gesamte internationale Gemeinschaft als eine schwere Verletzung des internationalen Rechts und des Völkerrechts an.

Bereits die Ankündigung der Annexion durch die israelische Regierung ist international verurteilt worden, z.B. von der Europäischen Union, dem zuständigen Komitee der UN-Generalversammlung sowie von zahlreichen israelischen und palästinensischen Friedens- und Menschenrechtsgruppen. Im Vereinigten Königreich haben fast 140 Abgeordnete einen parteiübergreifenden Brief unterzeichnet, in dem der Premierminister aufgefordert wird, Sanktionen gegen Israel zu verhängen, falls diese Pläne umgesetzt werden (https://www.theguardian.com/world/2020/may/01/mps-press-for-sanctions-against-israel-over-west-bank-annexations). 1.080 Parlamentsabgeordnete aus 25 europäischen Staaten, darunter 69 aus Deutschland, haben die Pläne verurteilt. Es gibt zudem prominente Stimmen aus Israel: 56 ehemalige Knesset-Abgeordnete haben die Annexion als einen „tödlichen Schlag für eine Friedensmöglichkeit und zur Schaffung eines Apartheid-Staates“ abgelehnt. 300 ehemalige Generäle und Offiziere der israelischen Armee und Chefs des Mossad haben die Pläne ihrer Regierung scharf kritisiert.

Die Rechtslage ist unstrittig: Die Annexion von besetztem Gebiet verstößt gegen mehrere Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, darunter die Resolutionen 242(1967), 478(1980) und 2334(2016) und ist illegal. Auch die Genfer Konvention ist eindeutig: Der Erwerb von Territorium durch Krieg ist verboten (Art. 47 IV. Genfer Konvention).  Annexion ist ein schwerer Verstoß gegen internationales Recht.

Der Europäische Gerichtshof bestätigte im vergangenen November, dass Israel in den palästinensischen Gebieten eine Besatzungsmacht ist und die Siedlungen im von Israel besetzten Westjordanland nicht Teil des israelischen Staatsgebiets sind sowie dass die israelische Siedlungspolitik gegen das Humanitäre Völkerrecht verstößt. Eine gemeinsame Erklärung von Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und dem Vereinigten Königreich vom 12. September 2019 stellt eindeutig fest: Die einseitige Annexion irgendeines Teils des Westjordanlandes wäre "ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht".

Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte nicht nur eine Verantwortung gegenüber dem Staat Israel, sondern auch gegenüber dem zukünftigen Staat Palästina und sollte alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um weitere Verletzungen von internationalem Recht seitens Israels zu verhindern, aufbauend auf unser Grundgesetz in Artikel 1 Absatz 2, dem Bekenntnis zu den „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Doppelstandards bei der Anwendung internationalen Rechts, zweierlei Maß, sind nicht akzeptabel, egal um welches Land es sich handelt. Ansonsten würde ein Präzedenzfall geschaffen, der die zukünftige Akzeptanz von Völkerrecht untergräbt.

Eine Annexion gefährdet in erster Linie das Leben der Palästinenser*innen.

Laut Stiftung Wissenschaft und Politik ist bei einer Annexion von Teilen des Westjordanlands mit gewaltsamen Auseinandersetzungen und einem Kollaps der Palästinensischen Behörde zu rechnen. Ferner ist eine Destabilisierung von Jordanien, u.a. durch Fluchtbewegungen, und eine neue Spannungslage in der Region zu befürchten, die die Sicherheit Israels gefährdet, aber auch gravierende Auswirkungen auf die Europäische Union haben können.

Mit einer Annexion müsste Israel allen Bewohner*innen in den annektierten Gebieten Bürgerrechte gewähren. Das israelische Vorgehen in der Vergangenheit im bereits annektierten Ost-Jerusalem oder dem Golan macht dies hochgradig unwahrscheinlich. Die Beispiele dort zeigen, dass eine Vielzahl von weiteren Völkerrechtsverstößen gegen die palästinensische Zivilbevölkerung geschehen werden.

Eine Annexion muss zu konkreten Maßnahmen führen, ungeachtet der besonderen und engen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, zwischen der EU und Israel. pax christi fordert daher im Falle einer Annexion:

-          Die Aussetzung des Assoziationsabkommens zwischen der EU und Israel, da Israel nicht auf die in Art. 2             geforderte Einhaltung der Menschenrechte achtet.

-          Die Aussetzung der militärischen Zusammenarbeit Deutschlands mit Israel einschließlich des                                 Rüstungshandels

-          Ein Einfuhrverbot Deutschlands und der EU für alle Produkte aus illegalen israelischen                                           Siedlungen.  Zudem die Untersagung jeglicher Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit den illegalen                 israelischen Siedlungen und dort tätigen israelischen Unternehmen         

Deutschland und die EU müssen unseres Erachtens angesichts der einseitigen Einflussnahme der US-Regierung auf den Konflikt von Anfang an eine Vorreiterrolle unter Einbindung vor allem auch der regionalen Mächte Ägypten, Jordanien und den Golfstaaten übernehmen, die sich für neue Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien und einen Friedensplan, z.B. auf Basis der arabischen Friedensinitiative von 2002, einsetzt, der beiden Seiten gerecht wird. Wir fordern, dass die Bundesregierung hierzu ihre aktuellen Rollen im Rahmen ihrer Mitgliedschaft im UN Sicherheitsrat, wo sie im Juli 2020 den Vorsitz innehat sowie ab 1. Juli 2020 innerhalb der deutschen EU-Ratspräsidentschaft besonders wahrnimmt. Dies ist auch dann dringend nötig, wenn es vorläufig nicht zu einer Annexion kommt, da der fortgesetzte Siedlungsbau einer schleichenden Annexion gleichkommt.