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Heinrich Missalla.jpg

Kirchliche Unterstützung des Hitler-Krieges nicht verschweigen!

22. Aug 2019

Brief an die deutschen Bischöfe zum 80. Jahrestag des Kriegsbeginns am 1. September 2019

Ein offenes und ehrliches Bekenntnis zum problematischen Verhalten der damaligen Bischöfe zu Hitlers Krieg fordert der Theologe Heinrich Missalla in einem kurz vor seinem Tod am 3. Oktober 2018 verfassten fünfseitigen Brief an die deutschen Bischöfe, den die katholische Friedensbewegung pax christi und die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche unterstützen.  

Im Antwortschreiben zeigt sich Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, die den Brief Anfang Februar 2019 erhalten hatte, überzeugt, dass die Veröffentlichung dieses Briefes zum 80. Jahrestag des Kriegsbeginns am 1. September 2019 Anstoß geben wird, von Neuem über die Kriegsverbrechen des Nationalsozialismus und das Verhalten der verantwortlichen Bischöfe nachzudenken.  

Der von Heinrich Missalla verfasste Mahn-Brief zitiert aus damaligen Hirtenbriefen mit den bischöflichen Aufforderungen an die Gläubigen, an der Front und in der Heimat aufopferungsvoll ihre „Pflicht“ zu erfüllen. Er erinnert aber auch an die Aussage der Bischöfe aus dem Jahr 2000 im Hirtenwort „Gerechter Friede“: „Wer sich weigert, sich dem Schatten seiner Geschichte zu stellen, bleibt an sie gekettet.“ Entschieden hätten sie sich damit gegen eine „Manipulation des Erinnerns“ gewandt und auf die „Gefahr einer selektiven Erinnerung“ hingewiesen, der es entgegenzuwirken gelte. Bisher hätten die Bischöfe zwar zu Recht ihren Widerstand gegen die NS-Ideologie betont, ihre Unterstützung des Hitler-Krieges jedoch verschwiegen. Deshalb fordert der Brief die Bischöfe auf: „Haben Sie zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs endlich den Mut zur Ehrlichkeit und zum Aussprechen der Wahrheit.“  

Heinrich Missalla (Jg. 1926) wurde als junger Katholik selbst zum Kriegsdienst verpflichtet. Nach Ende seiner Kriegsgefangenschaft (Juni 1946), zuletzt im berühmten „Stacheldrahtseminar“ in Chartres, gelangte er früh zur pax christi-Bewegung. Als Theologe hat er über Jahrzehnte hinweg intensiv zum Themenkomplex „Kirche und Krieg“ geforscht. Seit Mitte der 1950er Jahre gehörte er der katholischen Friedensbewegung pax christi an und war über viele Jahre Mitglied des Vorstandes. Missalla war über 40 Jahre als Priester tätig und seit 1996 mit der Kirchenhistorikerin Dr. Magdalene Bussmann verheiratet.

Der Brief im Original-Wortlaut

An die deutschen katholischen Bischöfe zum 80. Jahrestag des Kriegsbeginns über das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz

Kaiserstraße 163
53113 Bonn 

Bischöfe, haben Sie endlich den Mut zur Wahrheit 

Sehr geehrte Herren Bischöfe, 

am 1. September gedenken wir des Kriegsbeginns vor 80 Jahren. Seit 1945 hat das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz anlässlich der verschiedenen Gedenktage zum Beginn oder Ende des Zweiten Weltkriegs eine Reihe von Erklärungen veröffentlicht. In diesen Veröffentlichungen wurde die beschämende Rolle der katholischen Kirche im Krieg mit keinem Wort erwähnt. Nach nunmehr 80 Jahren ist es hoch an der Zeit, auch zur Unterstützung des Hitler-Kriegs durch unsere damalige Kirchenleitung Stellung zu nehmen. Es ist verständlich, dass Sie Bedenken haben, über problematische Entscheidungen Ihrer Vorgänger zu urteilen, zumal sich keiner der damaligen Bischöfe mehr für sein Verhalten rechtfertigen kann. Neben der Rücksichtnahme auf die

früheren Amtsinhaber könnten Sie auch die Sorge hegen, das ohnehin ramponierte Ansehen unserer Kirche beim Eingeständnis eines schwerwiegenden Irrtums weiterhin zu schwächen. Denn mit der Kirche hat eine anerkannte Institution des Widerstandes gegen die NS-Ideologie dennoch Hitlers Krieg unterstützt. Wichtiger als solches Bedenken ist jedoch die Ehrlichkeit im Umgang mit der Geschichte der eigenen Kirche. Solche Aufrichtigkeit dürfte zudem langfristig eher zur Rückgewinnung verlorener Glaubwürdigkeit beitragen als ein weiteres Verschweigen der Wahrheit. Auch Papst Franziskus hat in seiner Generalaudienz 2018 zu einem aufrichtigen Umgang mit der eigenen Schuld hingewiesen.  

Ich erinnere: Eine Woche vor dem deutschen Überfall auf Polen haben Ihre Vorgänger während der Plenarkonferenz des deutschen Episkopats in Fulda auch darüber beraten, wie sie sich zum bevorstehenden Krieg äußern sollten. Die persönlichen Notizen des Bischofs von Speyer Ludwig Sebastian über den Verlauf der Konferenz geben Aufschluss über den Inhalt der Beratungen. In unvollständigen Sätzen hat er vermerkt: „Bei Ausbruch des Krieges ist ein Hirtenwort an die Gläubigen

zu richten. Gebete einlegen; die katholischen Soldaten *** verpflichtet, in Treue und Gehorsam gegen Führer und Obrigkeit opferwillig unter Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit zu erfüllen gemäß den Mahnungen der Heiligen Schrift. An das Volk richten wir die Bitte, unsere innigen Bitten zum Himmel zu senden, daß Gott den ausgebrochenen Krieg zu einem für Vaterland und Volk siegreichen Ende führen möge.“ 

Ein gemeinsamer Hirtenbrief kam nicht zustande. Doch die Formulierungen in den Notizen des Bischofs von Speyer finden sich in den Kriegsjahren so oder ähnlich in vielen damaligen Hirtenbriefen der deutschen Bischöfe. Sie hätten zum Krieg ebenso schweigen können wie der Berliner Bischof von Preysing oder wie sie zum Schicksal der Juden geschwiegen haben. Doch gemäß einer langen Tradition folgten sie den Weisungen der staatlichen Obrigkeit und übernahmen nicht nur deren Kriegspropaganda, sondern überhöhten sie z.T. auch pseudoreligiös.  

Nach dem Überfall auf Polen übernahm der Bischof von Münster von Galen die offizielle Version vom Angriff der feindlichen Mächte auf das friedliebende Deutschland; unsere Soldaten erkämpften „einen Frieden der Freiheit und Gerechtigkeit für unser Volk“. Für Bischof Machens von Hildesheim wurde der Krieg „gegen das Recht des deutschen Volkes auf seine Freiheit“ geführt. Bischof Berning von Osnabrück ließ die Gläubigen „beten, daß Gott uns den Sieg verleihe“. Vier Tage nach dem Angriff auf die Sowjetunion wussten und lehrten die deutschen Bischöfe, dass die Soldaten mit ihrer Pflichterfüllung „nicht nur dem Vaterland dient(en)“, sondern sie wagten sogar zu behaupten, dass sie damit „auch dem heiligen Willen Gottes folgt(en)“. Der Bischof von Münster nannte den Krieg jetzt einen „neuen Kreuzzug“, in dem „der Soldatentod des gläubigen Christen in Wert und Würde ganz nahe dem Martertod um des Glaubens willen (steht,) der dem Blutzeugen Christi sogleich den Eintritt in die ewige Seligkeit öffnet.“ Für den Paderborner Erzbischof Jäger diente der Krieg der „Bewahrung des Christentums in unserem Vaterland, für die Errettung der Kirche aus der Bedrohung durch den antichristlichen Bolschewismus“. Der Bischof von Eichstätt nannte den Krieg „einen Kreuzzug, einen heiligen Krieg für Heimat und Volk, für Glauben und Kirche, für Christus und sein hoch heiliges Kreuz“.  

Wie im Ersten Weltkrieg erhielten die Soldaten von ihren Bischöfen eine religiöse Deutung ihres Kriegsdienstes: es sei „Nachfolge Christi …, das eigene Leben einzusetzen zur Rettung unseres Volkes“. Als junger Mann hörte ich die Aufforderungen unserer Bischöfe: „Mit der ganzen Autorität unseres heiligen Amtes rufen wir auch heute euch wieder zu: Erfüllet in dieser Kriegszeit eure vaterländischen Pflichten aufs treueste! Lasset euch von niemandem übertreffen an Opferwilligkeit und Einsatzbereitschaft! ... Wo immer der Daseinskampf unseres Volkes euren Einsatz fordert, da steht“. 

Wie konnte ich mich als kirchentreuer zum Gehorsam verpflichteter Katholik angesichts der damaligen Auffassung von der amtskirchlichen Autorität diesen Aufforderungen entziehen? Seit Kindertagen ist mir eingeprägt worden, dass ich den Lehren und Weisungen meiner Kirche „folgsam“ nachzukommen habe. Zahllose Menschen erfuhren während des Krieges Stärkung und Trost durch ihre Bischöfe, die ihnen zusicherten, dass sie mit ihrer Opfer- und Todesbereitschaft ganz dem Willen Gottes folgten. Und die Machthaber konnten mit solch kräftiger Unterstützung ihrer Gehorsamsforderungen zufrieden sein.  

Es steht uns Heutigen nicht zu, über die damals Verantwortlichen ein moralisches Urteil zu fällen, weil sie uns nichts mehr über die zweifellos schwierigen Umstände, Voraussetzungen und Bedingungen ihrer damaligen Entscheidungen Auskunft geben können. Wir müssen heute aber feststellen, dass sie die Gläubigen unter Inanspruchnahme ihrer geistlichen Autorität verpflichtet haben, in einem ungerechten Krieg ihre angebliche Pflicht zu erfüllen. Nur sehr wenige Männer hatten den Mut und die seelische Kraft, sich dieser Weisung zu widersetzen.  

Mir ist nicht bekannt, dass irgendein Bischof sich nach dem Krieg öffentlich zu seinen Äußerungen bekannt und/oder die Gläubigen um Entschuldigung für seine Irreführung gebeten hat. Es bleibt ein Rätsel, warum fast der gesamte deutsche Episkopat den verbrecherischen Charakter des Hitler-Krieges nicht erkannt und benannt und darum die ihm anvertrauten Gläubigen aufgerufen hat, sich gehorsam und todesbereit zur Verfügung zu stellen. So bitter die Einsicht auch sein mag: alle Verurteilungen der nationalsozialistischen Ideologie und alle bitteren Erfahrungen mit der NS-Herrschaft in den vorangegangenen Jahren sind kein Hindernis für sie gewesen, den Krieg Hitlers zu unterstützen, weil sie ihn offenkundig für gerechtfertigt hielten. In diesem Irrtum befangen, haben sie auch die Gläubigen auf einen Irrweg geführt.  

In ihrem Schreiben „Gerechter Friede“ (2000) heben die Bischöfe die Bedeutung der Erinnerung bei Tätern und Opfern hervor. „Wer eine gemeinsame Zukunft will, braucht Verständigung über die Vergangenheit“. (108) „Wer sich weigert, sich dem Schatten seiner Geschichte zu stellen, bleibt an sie gekettet:“ (109) Entschieden wenden sie sich gegen eine „Manipulation des Erinnerns“ und weisen auf die „Gefahr einer selektiven Erinnerung“ hin, der es entgegenzuwirken gelte. Das gilt auch für den Umgang der Kirche mit ihrer eigenen Geschichte. Zwar hat der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Bischof Dr. Karl Lehmann gefordert, dass die katholische Kirche ihre Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus mit „voller Offenheit und Wahrhaftigkeit“ aufarbeiten müsse. Es gibt auch in der Tat zahlreiche Dokumentationen und Untersuchungen zu vielen Vorgängen und Einzelproblemen dieser dunklen Periode deutscher katholischer Kirchengeschichte. Dass jedoch bisher keine umfassende Untersuchung zum Verhalten der deutschen katholischen Kirche im Krieg erstellt wurde, ist einigermaßen erstaunlich. Die Unterstützung des Hitler-Krieges durch die deutschen Bischöfe wurde bis heute verschwiegen.  

Haben Sie zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs endlich den Mut zur Ehrlichkeit und zum Aussprechen der Wahrheit. Die katholischen Christen in Deutschland, die Opfer und auch die noch Lebenden von denen, die damals treu und guten Gewissens den bischöflichen Weisungen gefolgt sind und ihre vermeintliche Pflicht in der Wehrmacht erfüllt haben, haben ein Recht darauf. 

Hochachtungsvoll

Heinrich Missalla (92 Jahre)