SIG Sauer muss 11 Millionen Euro zahlen
01. Jul 2021
Im Fall illegaler SIG
Sauer-Kleinwaffenexporte von Deutschland über die USA nach Kolumbien hat der
Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe das Unternehmen zu einer Zahlung von mehr
als 11 Millionen Euro verpflichtet und damit das Urteil des Landgerichts Kiel
weitestgehend bestätigt. Die Verurteilung zur Zahlung dieser historischen Summe
ist ein riesiger Erfolg der “Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!”, die den
Prozess mit ihrer Strafanzeige aus dem Jahr 2014 angestoßen hatte.
„Dies ist die höchste Summe, die je von einem Kleinwaffenhersteller eingezogen worden ist! Der Bundesgerichtshof hat damit bestätigt, dass illegaler Waffenhandel die Verantwortlichen teuer zu stehen kommt”, kommentiert Holger Rothbauer, der Anwalt der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!”, die Entscheidung. „Auch wenn die Gesetzgebung gegenüber Waffenhändlern weiterhin zu schwach ist, wird durch dieses Urteil gegen das Unternehmen SIG Sauer illegaler Waffenhandel endlich als das behandelt, was es ist: Organisierte Kriminalität”, so Rothbauer mit Bezug auf die Einziehung des gesamten Umsatzes nach einem seit 2017 bestehenden Paragrafen, der sich hauptsächlich gegen die organisierte Kriminalität richtet.
„Nach Heckler & Koch ist SIG Sauer der zweite deutsche Kleinwaffenhersteller, der innerhalb weniger Monate vom Bundesgerichtshof zu Millionenzahlungen verurteilt wird. Das ist ein Meilenstein auf dem Weg dahin, die Händler des Todes Made in Germany finanziell zur Verantwortung zu ziehen und ein Riesenerfolg der Kampagne ‘Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!’”, sagt Jürgen Grässlin, Sprecher der Kampagne und Bundessprecher der „Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ (DFG-VK). Die Kampagne hatte 2014, vertreten durch Rechtsanwalt Holger Rothbauer, Anzeige wegen der illegalen Waffenexporte durch SIG Sauer gestellt. In der Folge waren im Jahr 2019 drei Führungskräfte des Unternehmens aus Deutschland und den USA vom Landgericht Kiel zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Dieses Urteil ist bereits rechtskräftig. Der BGH verhandelte jetzt nur noch die Revision des vom Landgericht geforderten Einzugs der Umsätze aus dem illegalen Waffengeschäft, bei dem mehr als 38.000 zunächst in die USA exportierte Pistolen von dort aus illegal in das damalige Bürgerkriegsland Kolumbien weiterverkauft worden waren. Die Revisionen wurden vom BGH weitgehend zurückgewiesen, eine Revision wurde an das Landgericht Kiel zu erneuter Bewertung verwiesen. Von der Neuverhandlung ist nur noch die Haftung für die Beträge innerhalb der Unternehmensgruppe betroffen.
Seit April 2020 liegt
die nächste Strafanzeige der Kampagne gegen SIG Sauer wegen illegaler
Kleinwaffenexporte (diesmal nach Mexiko, Nicaragua, sowie erneut Kolumbien)
vor, die Staatsanwaltschaft Kiel ermittelt.
„Die Politik muss aus
den Prozessen in den Fällen Heckler & Koch und SIG Sauer endlich
Konsequenzen ziehen,” fordert Charlotte Kehne, Referentin für Rüstungsexportkontrolle
bei „Ohne Rüstung Leben“ und Sprecherin der „Aktion Aufschrei – Stoppt den
Waffenhandel!“. „Die Weiterleitung der SIG-Sauer-Waffen über die USA nach
Kolumbien hat wieder einmal gezeigt, dass der Endverbleib von Kleinwaffen nicht
kontrollierbar ist. Ein strenges Rüstungsexportkontrollgesetz inklusive
Kleinwaffenexportverbot ist daher mehr als überfällig! Zudem muss die Politik
der Internationalisierungsstrategie von Rüstungsunternehmen entschieden
entgegentreten. Es kann nicht sein, dass SIG Sauer über seine Standorte im
Ausland in alle Welt exportieren kann, die Gewinne aus fragwürdigen
Waffengeschäften jedoch weiterhin an die deutsche Holding fließen”, so Kehne.
„Wir können mit
Recherchen vor Ort und einem Dossier belegen, dass
SIG-Sauer-Waffen in Kolumbien großen Schaden anrichten,” sagt Ralf Willinger,
Kinderrechtsexperte bei „terre des hommes Deutschland“. „SIG-Sauer-Pistolen
werden von Drogenbanden, Paramilitärs und Guerillagruppen bei Verbrechen
eingesetzt, Kindersoldat*innen aufgezwungen und auch kriminelle Polizist*innen
und Militärs haben sie bei schweren Menschenrechtsverletzungen und Straftaten
benutzt. Kinder und Jugendliche aus unseren Projekten sind stark betroffen”,
berichtet Willinger.
Seit April 2021 finden
in Kolumbien große Proteste für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit statt.
Die Regierung von Präsident Iván Duque geht mit tödlicher Gewalt gegen
friedliche Demonstrierende vor. Die Polizei in Kolumbien ist vornehmlich mit SIG-Sauer
Waffen ausgestattet. „Es ist ein wichtiges Zeichen für die kolumbianische
Zivilgesellschaft, dass Rüstungsunternehmen in Deutschland erfolgreich der
Prozess gemacht wird. Dennoch: diese Waffen hätten niemals in den Besitz der
kolumbianischen Polizeieinheiten gelangen dürfen, egal ob auf illegalen oder
legalen Wegen”, sagt María Cárdenas vom deutschen Kolumbianer*innen Kollektiv
„Red Colombia Rhein-Main”. Gemeinsam veranstalteten Red Colombia Rhein-Main ,
die Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen und
Colombia Viva e.V. vor der Urteilsverkündung in Karlsruhe eine künstlerische
Protestaktion, um auf die Menschenrechtslage in Kolumbien aufmerksam zu machen.