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Trier_Flüchtlinge.jpgDragan Tatic

Trier: Erklärung zur Flüchtlingspolitik

25. Feb 2016

Wer nicht über die Ursachen reden will, muss falsche Fährten legen. Flüchtlingspolitik zwischen Verweigerung und Ablenkung.

Der französische Premierminister Manuel Valls lehnte am Rande der Sicherheitskonferenz in München vom 12.-14.2016 eine Festlegung von Kontingenten für die Verteilung von Flüchtlingen in der EU ab. Er sei "nicht dafür", einen festen Verteil-mechanismus einzuführen, sagte Valls. Er rief dazu auf, sich an die bereits beschlossene Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen zu halten. Zwar sagte Valls, er bewundere die deutsche Aufnahmebereitschaft und sprach Merkel für diese Entscheidung seinen Respekt aus. Die Europäische Union müsse aber die Botschaft aussenden, "dass wir keine Flüchtlinge mehr aufnehmen", sagte Valls bei einer Begegnung mit deutschen Journalisten in München weiter. "Es wird nun Zeit, das Beschlossene, Verhandelte umzusetzen: Hotspots, Kontrolle der Außengrenzen und so weiter." Die Flüchtlingskrise verunsichere "die Bürger Europas", die immer mehr das Gefühl bekämen, "dass Europa die Kontrolle und die Macht über sein Schicksal verloren hat".

 

Damit reiht sich der französische Premierminister in die Reihe der europäischen Politiker ein, die sich weigern wahrzunehmen, dass die Flüchtlinge eine Folge langjähriger Politik westlicher Staaten und auch der EU sind. Diese setzen auf ein rigides Grenzregime und heimatnahe Unterbringung wie zum Beispiel in der Türkei. Und wenn das nicht funktioniert, macht man ohne Probleme den Sündenbock ausfindig; zum Beispiel Griechenland, dem es nicht gelingt, seine Außengrenzen zu schließen.

 

Verweigerung

Über zentrale Fluchtursachen wurde und wird öffentlich nicht ernsthaft gesprochen, allenfalls wird bedauert, dass es zerfallende Staaten gibt oder die Flüchtlinge vor Ort nur mangelhaft versorgt werden. Schon wenige Kontexte dokumentieren das deutlich.

 

Zurzeit kommen die meisten Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Es ist bekannt, welche Politik besonders auch westlicher Staaten dazu geführt hat, dass diese Länder destabilisiert wurden. Auf dem Hintergrund der Äußerung von Manuel Valls ist daran zu erinnern, dass Frankreich im Herbst 2015 in die bewaffneten Auseinandersetzungen um Syrien militärisch eingegriffen hat. Gerade für die gegenwärtige katastrophale Lage in Syrien ist zwischenzeitlich einigermaßen analysiert, inwieweit Großmächte und Anrainerstaaten in den fünfjährigen Konflikt verwoben sind. Nachdem die Konflikte neuerlich eskaliert sind, ist man wenigstens so weit, miteinander zu reden.

 

Lange Zeit kamen vom Balkan besonders auch nach Deutschland zahlreiche Menschen. Allein schon der Konflikt um den Kosovo dokumentiert die Verantwortung der westlichen Staaten – der USA, der NATO, aber auch Deutschlands. In 20 Jahren verantwortlichen Handelns dort – salopp spricht man von einem „deutschen Protektorat“ - ist es nicht gelungen, eine Gesellschaft aufzubauen, die die Existenz der Menschen sichern kann. Der Kosovo zählt zu den Armenhäusern Europas Gut, dass man den Kosovo zu einem sicheren Drittstaat erklären kann und damit die Folgen vergangener Entscheidungen nicht mehr unmittelbar präsentiert werden.

 

Viele Jahre war die Bundesrepublik der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Obwohl die BRD 2015 nur noch an fünfter Stelle eingeordnet wird,  gab es noch einmal eine Steigerung im Rüstungsexportgeschäft. Trotz einschränkender Gesetze finden sich sehr häufig „gute Gründe“ für die entsprechende Genehmigung. Gerade in den Nahen Osten wurde entgegen aller Warnungen (Aktion Aufschrei) eifrig exportiert. Es ist also nicht verwunderlich, wenn diese Waffen sich auf allen Seiten wiederfinden oder für eine abenteuerliche, inhumane Politik eingesetzt werden.

 

Den Hungertod von Millionen von Menschen nennt Jean Ziegler den „Skandal unseres Jahrhunderts“, er bezeichnet ihn als „Mord“, besonders den Hungertod von Kindern unter zehn Jahren, den es seinen Berechnungen nach alle fünf Sekunden gibt. Papst Franziskus erklärt entsprechend: „Diese Wirtschaft tötet“. Die Verursacher sind vor allem Länder der sogenannten Ersten Welt „die Kreuzritter des Neoliberalismus“, die transkontinentalen Privatkonzerne, die Nestles, BASFs und Bayers beispielsweise, aber auch der Internationale Währungsfonds, die WTO und die Weltbank; dann die Spekulanten an den Börsen, die mit Grundnahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Nutzflächen handeln und dadurch die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben; und nicht zuletzt die „Geier des grünen Golds“, die auf Bioethanol und Biodiesel als Ersatz für fossile Brennstoffe setzen und dafür viel Nutzfläche brauchen und Unmengen von Wasser und anderer Energie benötigen.

 

Die EU, die USA und mit ihnen viele weitere Staaten setzen international auf Freihandelspolitik: Die Dominanz eines entfesselten Kapitalismus ist all gegenwärtig. Die Diskussionen über TTIP machen deutlich, welche sozialen und ökologischen Folgen Freihandelsregime mit sich bringen und dass sie letztlich nur den wirtschaftlichen Starken dienen. Wer die Verhandlungen der EU mit afrikanischen Staaten verfolgt, muss erkennen, dass die Vereinbarungen Europa nützen und die darbende Wirtschaft der Länder Afrikas weiter ruiniert.

 

Eine besondere Rolle spielt der Kampf um Ressourcen. Die Ölfelder des Nahen Ostens oder die Bodenschätze Afrikas – beispielweise im Kongo – lassen ganze Regionen nicht zur Ruhe kommen. Die Interessen der globalisierten Wirtschaft und ihrer politischen Protagonisten suchen sich immer neu ihre Anteile zu sichern, häufig auch mit militärischen Mitteln. Es ist nicht zu übersehen, dass gerade diese Regionen nicht zur Ruhe kommen.

 

Nicht zuletzt treibt der drohende und auch wohl schon spürbare Klimawandel mit seinen Unwettern, Dürren und Überschwemmungen Menschen in die Flucht; sie verlassen ihre Heimat auf der Suche nach einem Ort zum Überleben. Zwar wird über diese globale klimatische Bedrohung seit über 20 Jahren international diskutiert und nach Lösungen gesucht. Dennoch ist die Zahl derer, die systemimmanent ihren wirtschaftlichen Interessen folgen und die Zukunft der Erde ignorieren, erheblich. Der Abgasskandal bei VW spricht Bände. Auch die Vereinbarungen von Pariser Klimagipfel im vergangenen Jahr müssen, falls sie überhaupt hinreichend sind, erst noch zum Erfolg gebracht werden.

 

Ablenkung

Ein Blick auf die gegenwärtigen Diskussionen über die Flüchtlinge in Europa und in Deutschland macht mehr als deutlich, dass ganz andere Themen bedient werden. Politiker wetteifern darum, wie am besten verhindert wird, dass Menschen aus Kriegsgebieten, die verfolgt werden, von Armut und Hunger bedroht sind, die ohne Lebensperspektiven sind, zu uns kommen.

 

Eine erste Form der Ablenkung ist die Diskriminierung. Menschen, die nicht unmittelbar von Verfolgung oder Krieg bedroht sind, werden als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet.

 

Das bedeutet nichts anderes, als dass es keinen Grund gibt, sie in Europa zu versorgen. Da sie häufig keinen legalen Weg zu uns finden, sind sie nicht selten illegal eingereist und gehen illegalen Beschäftigungen nach. Dabei werden sie oft als billige Arbeitskraft missbraucht. Einige werden straffällig, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Kommentiert wird das mit den Worten, dass sie unsere Gastfreundschaft missbrauchen.

 

Auch der wenig verstandene Islam dient der Disqualifizierung und Diskriminierung. Das “christliche Abendland“, die europäische „Kultur und Wertegemeinschaft“ müssen verteidigt werden. Einige europäische Länder wollen deshalb nur Flüchtlinge mit christlicher Konfession aufnehmen. Rechtpopulistische und nationalistische Scharfmacher scheuen sich nicht Religion zur Abwertung einzusetzen und dazu beizutragen, dass es täglich Meldungen über Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gibt. Ganz offensichtlich werden hier Ängste, wie zum Beispiel abgehängt zu werden, ausgenutzt und geschürt. Flüchtlinge und Fremde sind wohlfeile Sündenböcke für Ursachen, die dem gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem geschuldet sind.

 

Die Diskussion um geschützte und geschlossene Grenzen sowie staatliche Souveränität hat inzwischen absurde Dimensionen angenommen. Das erstreckt sich von der Kennzeichnung, dass in der Bundesrepublik eine „Herrschaft des Unrechts“ festzustellen ist, über die Isolierung Griechenlands wegen ungenügender Grenzsicherung, über das verbale Spielen mit dem Schusswaffengebrauch an deutschen Grenzen bis hin zum NATO-Einsatz gegen die Schlepper.

 

In Deutschland sind zurzeit die beherrschenden Themen und Debatten, wie man die Zahl der Flüchtlinge begrenzen und wie man die Angekommenen integrieren kann. Die Diskussionen haben Ängste und Vorurteile als Hintergrund. Zudem müssen organisatorische und finanzielle Herausforderungen gelöst werden. Zu oft wird alles miteinander verwoben. So stürzt sich die Öffentlichkeit mit Vehemenz auf kriminelle Handlungen von Ausländern und Flüchtlingen wie nach der Silvesternacht von Köln. Politische und gesetzliche Maßnahmen in aller Eile sollen Handlungsfähigkeit demonstrieren. Eine hinreichende Analyse lässt auf sich warten.

 

Herrschaft

Das Stichwort von der „Herrschaft des Unrechts“ soll hier noch einmal aufgegriffen werden, weil wir durch das Evangelium vom Kommen der „Herrschaft Gottes“ gehört haben.

 

Das Zitat von Horst Seehofer lautet: „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts.“

 

Wir gehen davon aus, dass im staatlichen Kontext „Herrschaft des Unrechts“ bedeuten kann, dass Gesetze entweder nicht eingehalten oder willkürlich ausgelegt werden. Wenn man diesen Maßstab übernimmt, ist zu fragen, warum wird diese Formulierung im Zusammenhang mit dem Eintreffen der Flüchtlinge und nicht in anderen Kontexten wie der Steuerhinterziehung oder dem Versagen des Verfassungsschutzes gebraucht. Immerhin ist bekannt, dass der Freistaat Bayern beispielsweise deutlich weniger Steuerfahnder als andere Bundesländer einstellt. Vielleicht steckt dahinter mangelndes Interesse, zumindest aber mangelnder Wille, die entsprechenden Gesetze durchzusetzen. Nach den NSU-Morden wird das noch deutlicher beim Verfassungsschutz. Die Devise ist immer noch, möglichst wenig über die Beteiligung der entsprechenden Behörden ans Licht kommen zu lassen. Beide Beispiele machen zumindest deutlich, dass auch nach jahrelangem Mangel der Gesetzesdurchsetzung in gravierenden Zusammenhängen – bei der Steuer geht es um die Gleichbehandlung, bei dem Verfassungsschutz um wiederkehrende Beihilfe bei Straftaten durch staatliche Institutionen –sich kaum Etwas geändert hat.

 

Ist es also schon bei einem positivistischen Gesetzesverständnis fragwürdig – Recht ist was in Rechtsnormen festgelegt wurde – warum ein konkreter Mangel in der Durchsetzung von Rechtsnormen als „Herrschaft des Unrechts“ bezeichnet wird und andere gravierende Mängel nicht, so gewinnt man noch eine andere Perspektive unter der Maßgabe Radbruchs. Nach dem Ende der NS-Herrschaft plädiert er dafür, um „die Wiederkehr eines solchen Unrechtsstaates“ zu verhüten, müsse man der materiellen Gerechtigkeit Vorrang vor dem positiven Recht einräumen, wenn dieses unerträglich ungerecht sei oder die Gleichheit aller Menschen bewusst verleugne.

Materiell und formal ist die Bundesrepublik an die Genfer Flüchtlingskonvention und an das Grundgesetz mit seinen Grundrechten gebunden. Eine Schlussfolgerung aus der Tatsache, dass die deutschen Institutionen es zurzeit nicht schaffen, die ankommenden Menschen zu registrieren und unterzubringen, eine „Herrschaft des Unrechts“ zu konstatieren ist reine Polemik.

 

Im Evangelium heißt es: „Suchet die Herrschaft Gottes und seine Gerechtigkeit und alles andere wird euch hinzu gegeben“ (Lk 12,31). Dieses fundamentale Wort der Botschaft Jesu fordert geradezu auf, einen Blick auf die anderen Herrschaften dieser Erde zu werfen. So geschieht es ja auch in der Perikope des ersten Fastensonntags(Lk 4,1-13). Wer den Blick auf das weltweite Geschehen nicht verweigert, dem springen die Mechanismen der Ausbeutung und Unterdrückung von Menschen und der Verwüstung der Erde in die Augen. Wirtschaftliche Zurichtung und Ausbeutung und staatliche Repression errichten Herrschaften, die schon vor der Definition Radbruchs nicht bestehen können und noch weniger mit dem Anspruch der Herrschaft Gottes kompatibel sind. In der Gerechtigkeit der Herrschaft Gottes geht es um die konkreten Menschen, besonders wenn sie durchs Sieb gefallen, überflüssig oder ausgestoßen sind. Ihre Bedarfe und nicht staatliche Ordnungsvorstellungen – Macht und Kontrolle wie Valls es sagt - bleiben der Maßstab für Gerechtigkeit aber auch Unrecht. Suchen nach der von Jesus gemeinten Gerechtigkeit heißt, dass alles Mögliche in Bewegung gesetzt wird, um allen Menschen Leben nicht zuletzt in Fülle  zu ermöglichen.

 

23.02.2016  Vorstand pax christi im Bistum Trier