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Antikriegsbrief aus Jerusalem

24. Jul 2014

Reuven Moskovitz hat seinen Freund/innen in Deutschland einen Antikriegsbrief geschrieben. Die pax christi-Bundesvorsitzende Wiltrud Rösch-Metzler hat darauf geantwortet.

Sie finden den Briefwechsel im Folgenden:

Antwortschreiben von Wiltrud Rösch-Metzler

Lieber Reuven,

seit vielen Jahrzehnten reist Du von Jerusalem nach Deutschland. Du, der in Europa den NS-Verbrechern entkommen konntest, sagst uns: „Es gibt ein Deutschland, das ich liebe.“

Du umarmst mit dieser Botschaft die Menschen in Deutschland, die Deiner Ansicht nach aus der schrecklichen deutschen Geschichte gelernt haben, die sich heute gegen Rassismus, Antisemitismus und gegen Krieg und Unrecht wenden. Bei vielen erreichst Du eine Schmerzgrenze, wenn Du von ihnen forderst, sich offen gegen das Unrecht der israelischen Besatzung  auszusprechen. Und ich weiß nicht, welche Antworten Du von der Bundesregierung bekommst, wenn Du schreibst: „ Mit meinen letzten Atemzügen  appelliere ich an die  Bundesrepublik Deutschland, aus der einseitigen, pro-israelischen Politik in dem Konflikt zwischen Israel und Palästina auszusteigen.“

Nachdem ich nun schon viele Jahre den umgekehrten Weg von Deutschland nach Israel und Palästina reise, möchte ich Dir in Anlehnung an Deine Worte antworten: „Es gibt ein Israel, das ich liebe.“ Ich habe dort warmherzige Menschen getroffen, an deren Leben ich teilhaben durfte. Sie engagieren sich für ein gutes Miteinander in ihrer Nachbarschaft und für Frieden und Menschenrechte. Es tut gut, als Deutsche nach Israel reisen zu können und dort ohne Vorurteile aufgenommen zu werden. Dass es nach dem Verbrechen des Holocaust zu solchen Beziehungen und Freundschaften kommt, ist ein Geschenk, für das ich Gott danke. Mich freut auch der Zuzug junger Israelis nach Deutschland!

Was ich aber nicht verstehe und was mir große Sorgen bereitet, ist die Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern. Ich verstehe sie nicht, weil ich denke, dass es eigentlich im ureigensten Interesse Israels liegen müsste, gute Beziehungen zu Palästina und den anderen Nachbarstaaten zu haben. Ich kann es nicht verstehen, dass die israelische Regierung nur auf Waffen setzt, jede politische Initiative, wie etwa den Vorschlag der Arabischen Liga zur Anerkennung Israels in den Grenzen vor 1967 vom Tisch fegt und in ihrer Behandlung der Palästinenserinnen und Palästinenser die Menschenrechts-Wertestandards verlässt. Welche Möglichkeiten hat Israel als ein kolonialer „fremder Staat“  denn in der Nahostregion zu bleiben?  

Ich bin, wie Du, in Sorge. Ich sehe, dass die israelische Regierung auf Militär und Waffen setzt, derzeit wieder im Krieg gegen Gaza. Ich befürchte, dass durch Krieg und Kollektivstrafen Hass unüberwindbar wird. Den Feind zum Freund zu machen, wie Du immer wieder forderst, kostet nun noch mehr. Eine Politikerin oder ein Politiker, die/der dies verfolgt, ist meiner Beobachtung nach nicht in Sicht, allenfalls Ex-Politiker wie Avraham Burg oder Uri Avnery. Letztere bleiben prophetische Stimmen. Weltweit ermahnen viele die israelische Regierung, die Chance auf eine Zwei-Staatenlösung zu ergreifen und keinen Weg in die Apartheid einzuschlagen.

Ich hatte es bereits aufgegeben an die israelische Regierung zu appellieren, weil dort das Eintreten für die Rechte der Palästinenser als gegen Israel gerichtet gesehen wird und zurückgewiesen wird. Seither appelliere ich zusammen mit Gleichgesinnten vor allem an die deutsche Regierung auf die israelische Regierung zugunsten von Sicherheit und Gerechtigkeit für Palästina und Israel einzuwirken. Wenn ich drauf und dran bin, aufzugeben, hilft mir der Gedanke an die mutigen Menschen in Israel und Palästina, die sich unter ungleich schwierigeren Bedingungen  für ein Ende der Besatzung einsetzen. Ungeduld führt nicht weiter aber vielleicht Hartnäckigkeit. Deine Stücke auf der Mundharmonika begleiten uns dabei.

In herzlicher Verbundenheit

Wiltrud

 

Schreiben von Reuven Moskowitz

 Liebe Anti-Kriegs-Freundinnen und Freunde in Aachen und Umgebung,

Liebe Freundinnen und Freunde überall in Deutschland,

ich versuche, meinen kürzesten Brief und Appell an Euch zu richten. Mein Versuch vor zwei Jahren, die beiden Anti-Kriegs-Gruppen in Aachen  zu versöhnen, scheint gescheitert zu sein. Während Günther Grass mit seiner letzten Tinte seinen dramatischen Aufruf schrieb, wende ich mich jetzt an euch mit meinen letzten Atemzügen.

Noch bin ich gesund und gehe auf mein 86. Lebensjahr zu. Manche meiner Träume haben mich blind gemacht, andere Träume lebe ich mit meinen Freunden, die verstehen, dass das gefährlichste Konzept, Krieg zu vermeiden, das israelische ist, das davon ausgeht, dass Terror nur mit immer weiterer Gewalt besiegt werden kann.

Für mich stellt sich heute die Frage, die sich Hamlet in Shakespeares berühmtem Drama schon vor mehr als 400 Jahren stellte:

Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:

Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen –

Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil, ’s ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen. Sterben – schlafen –
Schlafen! Vielleicht auch träumen!

Trotz einer erfolgreichen „Tournee“ durch Deutschland, trotz ermutigender Reaktionen auf meinen Pfingstbrief, in dem ich an das wichtigste Gebot „Du sollst nicht töten“ erinnere, das für mich auch bedeutet, selbst dann nicht zu morden, wenn andere morden, schaut die Regierung in Deutschland weiterhin nur zu, wie die Gewalt im Nahen Osten eskaliert.

Zu morden ist aber schon immer das wichtigste Konzept sowohl der israelischen Politiker als auch eines Teils des palästinensischen Widerstands gewesen. Jedoch wurden durch das israelische Morden in den vergangen 70 Jahren ungefähr zehnmal mehr Menschen umgebracht als durch den palästinensischen Terror. Das bedeutet aber nicht, dass der von manchen palästinensischen Kreisen vertretene Gedanke richtig ist, dass das Geschehene ungeschehen gemacht werden und Israel von der Landkarte verschwinden könnte.

Der einzige Weg, Kriege, insbesondere ABC-Kriege, zu vermeiden, ist Konzepte zu entwickeln, die versuchen die Schmerzen und Verletzungen durch die schrecklichen Geschehnisse der Vergangenheit als Folge zahlloser Kriege und Zerstörungen zu lindern und eine Aussöhnung der Gegner zu erreichen. 

Mit meinen letzen Atemzügen  appelliere ich an die  Bundesrepublik Deutschland, aus der einseitigen, pro-israelischen Politik in dem Konflikt zwischen Israel und Palästina auszusteigen.

Schon lange handelt man in Israel/Palästina nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Zu Recht hat Jimmy Carter seinerzeit darauf hingewiesen, dass eine solche Verhaltensweise zu völliger Blindheit führt, und ich möchte hinzufügen, nicht nur zu Blindheit, sondern auch zu Zahnlosigkeit und schließlich zum Untergang.

Kurz nachdem  ich diese  Zeilen schrieb, erschüttern mich die Ermordung der drei jüdischen Jugendlichen und die Entführung und die Verbrennung bei lebendigem Leibe eines 14- jährigen Palästinenser, wie auch  die gescheiterte Entführung  eines  9-jährigen palästinensischen Kindes. Inzwischen wird  der  Gaza-Streifen heftig bombardiert und mit gezielten Tötungen von Hamas Anführern und einem militärischen Einmarsch in Gaza gedroht.

Wird die Bundesregierung weiter schweigen angesichts dieser schrecklichen eskalierenden Geschehnisse?

Ich denke darüber nach, am 1. September 2014 in Aachen in den Hungerstreik zu treten unter dem Motto „Lasset uns als Kriegsgegner gemeinsam den Anti-Kriegstag begehen“.

Ich bitte um organisatorische Hilfe von Menschen in und aus der Umgebung von Aachen.

Herzlichst

Reuven

Jerusalem, 8. Juli 2014