Impulse 32: Kunst und Konflikt
Nach der Publikation von Impulse 29 vor zwei Jahren stellt die Kommission „Solidarität mit Zentralafrika“ hiermit noch einmal ein Impulse-Heft zur Lage in der Demokratischen Republik Kongo vor. Die beiden Hefte sollen sich ergänzen: Ausgangspunkt diesmal sind die Zeichnungen im Stil von Comics – Bilder, die von kongolesischen Künstler-Aktivisten für ein kongolesisches Publikum gemacht werden. Die ausgewählten Texte sollen helfen, die Bilder besser zu verstehen, bzw. sie zu kontextualisieren.Gezeichnete Bilder oder kurze Bildergeschichten sind ein gängiges Mittel der Kommunikation in politischen, sozialen und kulturellen Diskursen in der DR Kongo. Sie sind zunächst volksaufklärerisch motiviert
und wollen Wahrheit verbreiten, sind Teil sozialer oder politischer Kampagnen oder auch eine Äußerung
der Opposition. Oft entstehen sie im Umkreis von Nichtregierungsorganisationen aus dem kirchlichen oder
auch nichtkirchlichen Bereich. Die Zeichner und Texter sind in der Regel im Selbststudium ausgebildete
Liebhaber dieser Kunstform, die sich oft nur in der Freizeit mit Füllfeder und Buntstiften, oder in den letzten
Jahren auch zunehmend mit der digitalen Produktion von Bildern auf dem Bildschirm beschäftigen.
Die Nähe zu den „Bandes dessinées“ ist auch in der eigentlichen bildenden Kunst spürbar. Selbst die bekanntesten kongolesischen Künstler wie Cheri Cherin, Matanda wa Matanda, Ange Kumbi oder Cheri
Bande, deren Kunst aus der Tradition der Schildermalerei hervorgegangen ist und die mittlerweile auf dem
internationalen Kunstmarkt angekommen sind, erzählen übrigens oft in ihren Bildern ganze Geschichten.
Gewiss fallen als erstes die unvermeidlichen didaktischen Ambitionen der Comics ins Auge. Darüber hinaus lässt sich aus den Comics aber auch etwas über den Inhalte und Charakter öffentlicher Diskurse im
Kongo herauslesen: Die Betroffenheit über den Niedergang des Landes, die Korruption der Politiker, die
Verzweiflung angesichts von Krieg und Gewalt, der allgemeine Zynismus, aber auch die Hoffnung auf bessere Zeiten. Die teilweise drastische Bildersprache ist Ausdrucksform eines politisch und sozial engagierten Kunstschaffens.
Flavien Ntangamyampi von der Gruppe „Nous sommes frères/pax christi Bukavu“ zeichnet seit vielen Jahren solche Geschichten, früher gelegentlich in Kooperation mit Emanuel Mulashe (Texte). Heute macht er
seine Bilder und Bildergeschichten in Eigenregie. Eines seiner früheren Comics handelte von den „Kadogos“, den Kindersoldaten – wir haben es vor einigen Jahren auch in deutscher Sprache herausgebracht.
Ein ganzes Heft berichtete von einem Kind, das den Überfall auf sein Dorf miterleben musste, von den
Milizen verschleppt und zum Kindersoldaten gemacht wurde, am Ende aber Mut fasste und als Waise und
Ex-Kombattant Hilfe zur Wiedereingliederung fand. Dieses Heft sollte Kindersoldaten ermutigen, ihr
Schicksal nicht als unabänderliche Tatsache anzusehen und neu anzufangen.
Die meisten Comics sind in einfachem Französisch, die Sprache der ehemaligen belgischen Kolonialherren, mit der sich aber der Kongo sehr stark identifiziert hat.
Als Außenstehender mag man bedauern, dass
nicht viel mehr einheimische Sprachen auch in den Comics verwendet werden, doch die Menschen vor Ort
beteuern immer wieder, dass dies das Verständnis nicht hindert. Man ist schließlich stolz, Teil der frankophonen Welt zu sein – und selbst in der krisengebeutelten Provinz Kivu im Osten der DR Kongo ist das
hohe Niveau der Sprachkenntnisse in Französisch immer wieder beeindruckend. Ein Wechsel von der
Frankophonie zur Anglophonie wie im benachbarten Ruanda wäre im Kongo undenkbar.
Viele der Bilder sprechen allerdings auch ohne Text ihre eigene Sprache und sind Kunstwerke für sich.
Eine Übersetzung der Texte ist eigentlich gar nicht nötig. Auch wer nicht schreiben oder lesen kann, versteht die eingängige Botschaft dieser Bilder: Die Botschaft des Friedens, der Verständigung und Versöhnung, der Appell an die staatsbürgerliche Gesinnung, der Jammerschrei über die Not der Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt werden.
Einige der beigefügten Texte sind in diesem Impulse-Heft zweisprachig
französisch/deutsch wiedergegeben – für uns in Deutschland ungewöhnlich. Wir haben uns entschlossen,
diese kleine Irritation für unsere deutschsprachige Leserschaft in dieses Heft einzubauen. Im Kongo ist die
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Mehrsprachigkeit im gesprochenen wie im schriftlichen Wort ganz alltäglich. Abgesehen vom Französischen sind vier Sprachen als Nationalsprachen anerkannt – Lingala, Kikongo, Swahili, Tschiluba. Darüber
hinaus gibt es aber noch zahlreiche weitere regionale und lokale Sprachen und Dialekte.
Die Redaktion hat aus dem dem Material, das uns Flavien freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat,
eine Auswahl treffen müssen, der sowohl ästhetische als auch inhaltliche Gesichtspunkte zugrunde liegen.
Ein Schwerpunkt liegt auf der Gewalt gegen Frauen, eines der Schwerpunktthemen des Künstlers. Die
Texte, die wir in der Kommission dazu ausgesucht haben, sollen vor allem dem Verständnis der Bilder
dienen. Dazu gehört auch ein Gedicht von Nicole Mokabi, Mitglied der Kommission, die seit vielen Jahren
in Mainz lebt.
Wir meinen, dass diese Bilderwelt einen Zugang zum Verständnis der tiefen und andauernden Krise im
Osten des Kongo vermitteln kann – eine künstlerische Perspektive, die aus der Region selbst stammt und
zugleich alle angeht. Der Konflikt im Osten des Kongo stellt weiterhin eine der ganz großen, aber in der
deutschen Öffentlichkeit immer noch viel zu wenig beachteten Konflikte dar, die in ihren Dimensionen nicht
nur die Menschen in der Region, sondern auch die Menschheit als ganze in unserem Jahrhundert betreffen.
Après la publication de l’Impulse numéro 29, il y a de cela deux ans, la Commission “Solidarité avec l’Afrique
centrale” a voulu cette fois-ci faire parler les images. Nous tenons par cette occasion à remercier l’artiste et
activiste Flavien Ntangamyampi de NSF Bukavu, un des Partenaires de pax christi.
Nous vous recommandons cette petite Brochure surtout en ce moment crucial où les peuples de la République Démocratique du Congo se préparent aux différentes élections qui, compte tenu du délai qui lui est
alloué, s’annoncent déjà comme un casse-tête.
Nous espérons qu’elles vont consolider la démocratie et la paix.
Kommission Solidarität mit Zentralafrika
Oktober 2015