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Auch Meilensteine werden Geschichte

Anmerkungen zum Bischofswort von 2000

Stefan Silber

Das Hirtenwort „Gerechter Friede“ (GF) aus dem Jahr 2000 ist gar nicht mal so schlecht. Darauf hat Christine Hoffmann in der pax zeit schon hingewiesen und einige Aspekte herausgestellt, die ihrer Meinung nach dieses Bischofswort zu einem „Meilenstein der Friedensethik“  machen.

Dennoch enthält das Dokument manchen Überrest aus der Friedens- (und Kriegs-!) Theologie vergangener Zeiten, die bei einer Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre vom Gerechten Frieden überwunden werden müssten. Aus der Sicht der katholischen Friedensbewegung reicht es nicht, die positiven Aspekte des zwanzig Jahre alten Bischofswortes zu erhalten. Es ist vielmehr wichtig, das aktuelle Lehramt von Papst Franziskus und die Weiterentwicklungen in Friedensethik und Kriegsrealität zu berücksichtigen.

Ein erster Schreck stellt sich ein, wenn auf den ersten Seiten von GF die biblische Reflexion mit der Sünde beginnt (GF 13-15). Wer denkt sich so etwas aus? Die Bibel beginnt mit einem Friedensbild, nicht mit einer „Szene voller Gewalttätigkeit“ (GF 13). Am Anfang sieht Gott, dass alles gut war, denn die Schöpfung war in bester Ordnung, Chaos und Finsternis waren überwunden, Frauen und Männer waren in Gottes Auftrag und in Gottes Ebenbild zur Weiterführung dieser Schöpfung beauftragt (und befähigt) – und am siebten Tag schuf Gott ausdrücklich Ruhe und Frieden. Das ist die biblische Grundlage, und nur auf dieser Folie ist das Ärgernis des Sündenfalls (Gen 2-3) und der Schrecken des Mordes (Gen 4) überhaupt zu beurteilen. Mit dieser falschen Eröffnung steht jedoch das Bischofswort auf tönernen Füßen: Die Menschheit wird von der Gewalt her beurteilt und nicht von ihrer Berufung – und ihrer Fähigkeit – zum Frieden.

Eine zweite negative Überraschung: Nachdem im zweiten Kapitel recht ausführlich, begründet und positiv über den Gerechten Frieden im Zusammenhang mit Menschenrechten, Gewaltprävention, Entwicklung, Internationaler Zusammenarbeit und ziviler Konfliktlösung reflektiert wurde, folgt quasi als Appendix ein Abschnitt zu „Bedeutung und Grenzen militärischer Mittel“ (GF 129-161). Dieser Abschnitt steht völlig erratisch und zusammenhanglos am Ende eines Kapitels, das eigentlich Alternativen zur militärischen Gewalt behandelt, und versucht, nun diese Gewalt als eine andere, gleichberechtigte Form der Konfliktlösung zu präsentieren. Inhaltlich scheint der Text aus einer Werbebroschüre der Bundeswehr abgeschrieben zu sein. Kritik an der Bundeswehr und an der affirmativen Kriegspolitik der Bundesregierung findet sich darin nicht.

In ähnlicher Weise werden später in GF 181 und in GF 206 unvermittelt Soldaten eingeführt und den Friedensdiensten gleichgestellt. Militärische Praxis ist aber mit ziviler Konfliktlösung eben nicht vergleichbar, sie sind auch nicht komplementär oder bestimmten Formen von Konflikten jeweils angemessener. Zivile Konfliktlösung tritt vielmehr an, um den Schaden militärischer Einsätze zu begrenzen oder wieder gut zu machen. Zwischen den „zivilen“ und den „militärischen“ Teilen des Hirtenworts besteht eine ungelöste Spannung. Hier müsste in der Überarbeitung des Wortes deutlicher herausgearbeitet werden, dass „Gerechter Frieden“ eben nicht mit Militär, sondern nur mit ziviler Praxis zu erreichen ist.

Darüber hinaus müssten natürlich die gesellschaftlichen und weltpolitischen sowie die friedenstheologischen und kirchlichen Weiterentwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte berücksichtigt werden. Die zunehmend aggressive militärische Absicherung kapitalistischer Interessen der NATO-Staaten (auch Deutschlands) kann da nicht unreflektiert bleiben. Auch das Erstarken von nationalistischer und neofaschistischer Politik – zudem im Verbund mit fundamentalistischem, auch katholischem Christentum – in den USA, in Brasilien und in Europa gefährdet den „Gerechten Frieden“ weltweit. Schließlich müsste die Bischofskonferenz sich endlich ausdrücklich und vollständig gegen die atomare Bewaffnung, auch die nukleare Teilhabe, sowie gegen den Rüstungsexport aussprechen.

Die vielfältigen friedensethischen Impulse von Papst Franziskus, auch im Zusammenhang mit Migration, Klimawandel und im Einsatz gegen eine mordende Wirtschaft, müssen eine Neuausgabe des Hirtenworts prägen. Die Bischofskonferenz eines Landes, das zu den Weltmeistern im Rüstungsexport gehört, kann zu diesen Verbrechen, die Franziskus auf das Schärfste verurteilt, nicht schweigen. Die Arbeit der Catholic Nonviolence Initiative, die gezeigt hat, dass eine Theologie und Spiritualität der Gewaltfreiheit die bessere, ja die einzige Alternative zur militärischen Gewalt darstellt, könnte eine Grundlage dieses Hirtenwortes darstellen.  Auch das Szenario „Sicherheit neu denken. Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik“ der badischen Landeskirche wäre ein wichtiger ökumenischer Dialogimpuls, der ernst genommen werden sollte. 

Selbst an Meilensteinen geht der Weg vorbei. Zwanzig Jahre nach „Gerechter Friede“ sollte die Deutsche Bischofskonferenz den Mut finden, sich den prophetischen Impulsen von Papst Franziskus anzuschließen.

Der Theologe Prof. Dr. Stefan Silber ist Mitglied des Diözesanvorstandes pax christi Würzburg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates.