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Impuls zum 20. Februar 2022

Zum 7. Sonntag im Jahreskreis

Von Odilo Metzler (Stuttgart), Mitglied im Bundesvorstand

Den Feind zum Freund machen

Leben
Aber leben bleiben
Ich lebe und du sollst leben
Leben heißt Krieg hassen
Leben heißt Friede heißt Hoffnung
Leben heißt unsere Zeit retten
auch uns selbst
Wir wollen leben
Wir wollen nicht töten und sterben
Leben! Nicht töten wollen!
Leben heißt gegen den Tod sein
Leben heißt leben
und für das Leben sein
Leben gegen den Strom
Leben gegen den Haß
Nicht der Feind ist der Tod
sondern der Tod ist der Feind
Erich Fried

Leben ohne Gewalt
1. Lesung: 1 Sam 26,2.7-9.12-13.22-23
David verschont Saul, weil sein Leben ihm kostbar ist
2. Lesung: 1 Kor 15,45-49
Menschen der Erde und des Himmels
Evangelium: Lk 6,27-38

Leben ohne Gewalt
»Aber euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde. Tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen. Betet für die, die euch beschimpfen. Schlägt dich einer auf die Backe, halte ihm auch die andere Backe hin. Und nimmt dir einer den Mantel weg, überlasse ihm auch das Hemd. Gib jedem das, worum er dich bittet. Und wenn dir jemand etwas wegnimmt, das dir gehört, dann fordere es nicht zurück.
Behandelt andere Menschen genauso, wie ihr selbst behandelt werden wollt. Wenn ihr nur die liebt, die euch auch lieben: Welchen besonderen Dank erwartet ihr von Gott? Sogar die Sünder lieben ja die, von denen sie geliebt werden. Wenn ihr nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun: Welchen besonderen Dank erwartet ihr von Gott? Sogar die Sünder handeln so. Wenn ihr nur denen etwas leiht, von denen ihr es wieder zurückerwarten könnt: Welchen besonderen Dank erwartet ihr von Gott? Sogar die Sünder leihen sich gegenseitig Geld, um den gleichen Betrag zurückzubekommen. Nein! Liebt eure Feinde. Tut Gutes und verleiht, ohne etwas dafür zu erhoffen. Dann werdet ihr großen Lohn erhalten und Kinder des Höchsten sein. Denn Gott selbst ist gut zu den undankbaren und schlechten Menschen.«

»Seid barmherzig, so wie euer Vater barmherzig ist. Ihr sollt andere nicht verurteilen, dann wird auch Gott euch nicht verurteilen. Sitzt über niemanden zu Gericht, dann wird Gott auch über euch nicht zu Gericht sitzen. Vergebt anderen, dann wird Gott auch euch vergeben. Schenkt, dann wird Gott auch euch beschenken: Ein gutes Maß wird euch in den Schoß geschüttet –festgedrückt, geschüttelt und voll bis an den Rand. Denn der Maßstab, den ihr an andere anlegt, wird auch für euch gelten.«

(Übersetzung: BasisBibel)

Auslegung
Kaum 6 Monate nach dem Scheitern des 20jährigen „Krieges gegen den Terror“ in Afghanistan wurde in unserer Öffentlichkeit gefordert, Waffen in die Ukraine zu liefern, damit sie sich militärisch gegen Russland verteidigen kann und mussten sich diejenigen verteidigen, die auf Dialog und Deeskalation setzen, sie werden als nicht hart, nicht konfrontativ genug gescholten. Zuvor waren Kriege im Irak und Libyen gescheitert und im Chaos hinterlassen nach dem Versuch, durch Krieg Frieden zu schaffen.

„Liebt eure Feinde“, hören wir heute im Evangelium, in der Feldrede Jesu bei Lukas, wie entsprechend auch in der Bergpredigt bei Matthäus. Kann man mit dem Ethos von Feindesliebe und Gewaltlosigkeit regieren?
Wohin eine Politik ohne dieses Ethos führt, lässt sich im letzten Jahrhundert und in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts sehen, die geprägt sind von zwei Weltkriegen bei uns und Kriegen und Katastrophen in anderen Teilen der Welt wie auch Kolonial- und Wirtschaftskriegen gegen die Armen der Welt. 
Da kommt einem das Gedicht Erich Kästners von 1930 in den Sinn „Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag“, das mit den Versen endet: „Die Menschen wurden nicht gescheit. / Am wenigsten die Christenheit, / trotz allem Händefalten. / Du hattest sie vergeblich lieb. / Du starbst umsonst. / Und alles blieb beim alten.“

Es gibt aber auch Beispiele, wie sich im Geist der Bergpredigt Konflikte transformieren lassen: Mahatma Gandhi hat Indien ohne Gewalt aus dem Kolonialismus geführt. Martin Luther King hat die Rassentrennung in den USA überwunden und Nelson Mandela die Apartheid in Südafrika. Für unser Land war wichtig: die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland, die Entspannungs- und Versöhnungspolitik mit den Staaten Osteuropas und die friedliche Revolution in der DDR 1989 mit dem Ruf „keine Gewalt“. Mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wurde ein gemeinsames Sicherheitssystem geschaffen, und es gab Abrüstungsvereinbarungen. 

Und nun wieder Spaltung, Misstrauen, feindliche Manöver, Expansion von Einflussbereichen, Strafaktionen und Feindbilder.

Kann man mit dem Ethos von Feindesliebe und Gewaltlosigkeit Konflikte abbauen oder ist das Schwäche, Wunschdenken und fehlende Solidarität mit Schwächeren?
Im Aufruf Jesu zur Feindesliebe und zum Verzicht auf Gewalt steckt keine Aufforderung, Gewalt passiv zu erdulden und widerstandslos hinzunehmen, sich alles bieten zu lassen. Es geht vielmehr darum, klüger zu sein als die Feinde, um den aktiven mutigen Versuch, den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen, die Situation zu ändern. Es geht darum, Gesicht zu zeigen, Unrecht sichtbar zu machen und dem anderen eine Chance zu geben, sich anders zu verhalten, selbst aus der Gewaltspirale auszusteigen. Es geht um seine aktive Konfrontation mit dem Unrecht, das er begeht, ohne dass er vernichtet oder gedemütigt wird. 

Es geht auch darum, den eigenen Anteil am Konflikt zu sehen, den eigenen Anteil an der Gewalt, an der Angst und Verletztheit des Gegners, an der Spirale von Drohung und Demütigung. Wenn ich ihm auf gleicher Augenhöhe begegne, entdecke ich, dass auch er ein Mensch ist, dass wir verwandt sind. Dann ist es nicht mehr so einfach zu sagen, wer schuldig und unschuldig, wer Opfer und Täter ist, wer Böses im Sinn hat und wer nicht. Dann kann ich mich im anderen entdecken mit meiner Verletzlichkeit, meiner Wut, meinem Bedürfnis nach Anerkennung. Wenn ich den anderen auf gleicher Augenhöhe sehen kann, kann er mir zum Spiegel werden und ich ihm und ich kann merken wie unsere Verhalten sich gegenseitig beeinflusst. 

Wenn ich Gewalt gegen den anderen anwende, stelle ich mich über ihn und wirke mit im Kreislauf von Rache und Vergeltung. Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit, heißt es. Es wird verschleiert, dass es um Macht geht, um Wirtschaftsinteressen, Verteilungswettkämpfe, um Energiereserven und Rohstoffe. Es gibt die, die von Waffen, Rüstung, von Spannungen, Feindbildern und von Kriegen profitieren. Dem Frieden dienen, bedeutet, dies aufzudecken und dabei nicht mitzumachen. Und wenn der andere Unrecht tut oder androht?
Der israelische Friedensaktivist und pax christi-Freund Reuven Moskovitz hatte es so formuliert: „Ein Held ist der, der seinen Feind zum Freund macht.“

Ist es nicht übermenschlich, die zu segnen, die mich verfluchen oder denunzieren? Für die beten, die mich verletzen? Jesus lädt uns ein, Kraft aus dem Vertrauen und der Beziehung zu Gott zu schöpfen: „Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist!“ Es geht also nicht darum, eine übermenschliche Leistung zu vollbringen, sondern ein Geschenk weiterzugeben, das des Vertrauens, des Wohlwollens, der Zuwendung. 
Gewaltlosigkeit ist kein Rezept, keine Garantie, dass etwas funktioniert; dass man selbst keine Gewalt erleidet, dass man erfolgreich ist. Der Realismus Jesu liegt in seiner tiefen Skepsis gegenüber dem Glauben, dass sich Gewalt durch Gewalt und Böses sich durch gut gemeintes Böses überwinden lässt. 

Gebet zum Schöpfer
Herr und Vater der Menschheit,
du hast alle Menschen mit gleicher Würde erschaffen.
Gieße den Geist der Geschwisterlichkeit in unsere Herzen ein.
Wecke in uns den Wunsch nach einer neuen Art der Begegnung,
nach Dialog, Gerechtigkeit und Frieden.
Sporne uns an, allerorts bessere Gesellschaften aufzubauen
und eine menschenwürdigere Welt
ohne Hunger und Armut, ohne Gewalt und Krieg.
Gib, dass unser Herz sich
allen Völkern und Nationen der Erde öffne,
damit wir das Gute und Schöne erkennen,
das du in sie eingesät hast,
damit wir engere Beziehungen knüpfen
vereint in der Hoffnung und in gemeinsamen Zielen. Amen.

Papst Franziskus in Enzyklika Fratelli Tutti

Worte zum Thema
„Wenn wir uns nicht ändern, wenn die Kirche sich nicht an den Rand der Gesellschaft begibt und zu der alternativen Gemeinschaft wird, die bedingungslos Nein zum Krieg sagt, Nein zum kollektiven Mord, den kriegsbereite Nationen und Stämme, Kriegsbündnisse, gewalttätige Befreiungsbewegungen, Fundamentalisten und jetzt auch der Krieg gegen den Terror für gerecht erklären, wenn wir diese Rechtfertigung des Krieges, diese Theologie des „gerechten Krieges“ nicht in den Mülleimer der Geschichte werfen, wenn wir das nicht tun, dann werden wir den einen einzigartigen ethischen Beitrag, den die Lehre Jesu sowohl zum Überleben der Menschheit als auch zum Triumph der Barmherzigkeit leisten könnte, weggeworfen haben. ... Wenn wir es nicht lernen, unsere Konflikte zu lösen – und es wird immer Konflikte geben –, wenn wir es nicht lernen, sie ohne militarisierte Gewalt zu lösen, dann haben die Kinder unserer Kinder vielleicht keine Zukunft mehr. Die Liebe zu denen, die uns bedrohen, die Sorge um das Wohl derer, die wir fürchten, sind nicht nur Zeichen geistlicher Reife, sondern auch weltlicher Weisheit. Es handelt sich dabei um aufgeklärtes Eigeninteresse ... Wenn mein potenzieller Feind keinen Grund hat, mich zu fürchten, lebe auch ich in größerer Sicherheit.“

Paul Oestreicher, langjähriger Leiter des Versöhnungszentrums der Kathedrale von Coventry in: Eine neue Welt ist möglich, Vortrag auf der Ökumenischen Friedenskonvokation des Weltkirchenrats in Kingston/Jamaika, 18.5.2011 

 „Erlaubt die Gewalt, Ziele von dauerhaftem Wert zu erreichen? Löst nicht alles, was sie erlangt, letztlich nur Vergeltungsmaßnahmen und Spiralen tödlicher Konflikte aus, die allein für einige wenige „Kriegsherren“ von Vorteil sind? Die Gewalt ist nicht die heilende Behandlung für unsere zerbröckelte Welt. Auf Gewalt mit Gewalt zu reagieren führt bestenfalls zu Zwangsmigrationen und ungeheuren Leiden, denn große Mengen an Ressourcen werden für militärische Zwecke bestimmt und den täglichen Bedürfnissen der Jugendlichen, der Familien in Not, der alten Menschen, der Kranken, der großen Mehrheit der Erdenbewohner entzogen.“ 

Papst Franziskus, Botschaft zum Weltfriedenstag 2017 

Eine Art Feindesliebe
„Eine Art Feindesliebe
Mitleid haben 
auch mit denen
in denen das Leid
so schlecht wie keinen
Platz mehr gelassen hat
für ihr Mitleid"

Erich Fried

 

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