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Impuls zum 6. März 2022

Zum 1. Fastensonntag C

Von Stefan Voges (Aachen), Geistlicher Beirat von pax christi Aachen

Dona nobis pacem
Es ist der Morgen des 24. Februar 2022. Gerade habe ich in den Nachrichten gehört, dass in der Nacht das russische Militär die Ukraine angegriffen hat. Es ist Krieg in Europa. Alle vorherigen Überlegungen für diesen Impuls sind weggewischt. Aber worüber soll ich jetzt schreiben, ohne zu wissen, wie die Lage sein wird, wenn dieser Text verschickt wird? Kann und will ich über das Gefühl der Hilflosigkeit berichten, das sich mit Wut und Angst mischt? Aus der Ungewissheit dieses Vormittags notiere ich drei Gedanken.

Menschen
Beim Hören der Nachrichten über die ersten Kriegshandlungen meldet sich eine Wut, eine Wut auf das, was geschieht, aber auch eine Wut darauf, wie gesprochen wird über das, was geschieht. Russland, die Ukraine, die NATO, gebraucht werden die Namen von Ländern, die Abkürzung eines Militärbündnisses. Es sind gebräuchliche und treffende Wörter, gewiss, die das, was geschieht, knapp in überschaubare Zusammenhänge bringen, so wie es für die Berichterstattung nötig ist. Es sind zugleich Abstraktionen, die die Idee der Nation und der Machtkonstellationen fortschreiben. Und es sind verschleiernde Wörter, ja vergessende Wörter, weil sie die Menschen vergessen, weil sie verschleiern, dass Menschen leiden, dass Menschen sterben, nicht Nationen.

Es gibt eine Geschichte, vermutlich ist sie vielen bekannt, die diesen Gedanken auf wunderbare Weise beschreibt. Auch wenn sie sich an der russisch-ukrainischen Grenze nicht bewahrheitet hat, kann sie zur Erinnerung dienen an die Menschen hinter den Nachrichtenschleiern, an ihre Sehnsucht, ihre Leiden, ihr zerstörtes Glück.

Warum der Krieg unterblieb
Als der Krieg zwischen den beiden benachbarten Völkern unvermeidlich schien, schickten die Feldherren beider Seiten Späher aus, um zu erkunden, wo man am leichtesten in das Nachbarland einfallen könne. Die Kundschafter kehrten zurück und berichteten auf beiden Seiten dasselbe: Es gebe nur eine Stelle an der Grenze, die sich dafür eigne. „Dort aber“, sagten sie, „wohnt ein braver Bauer in einem kleinen Haus mit seiner anmutigen Frau. Sie haben einander lieb, und es heißt, sie seien die glücklichsten Menschen auf der Welt. Sie haben ein Kind. Wenn wir nun über ihr Grundstück marschieren, dann zerstören wir das Glück. Also kann es keinen Krieg geben.“ Das sahen die Feldherren ein, und der Krieg unterblieb, wie jeder Mensch begreifen wird.

Versuchung
Das Evangelium des ersten Fastensonntags rückt mir heute erschreckend nahe. 

Erfüllt vom Heiligen Geist, kehrte Jesus vom Jordan zurück. Er wurde vom Geist in der Wüste umhergeführt, vierzig Tage lang, und er wurde vom Teufel versucht. In jenen Tagen aß er nichts; als sie aber vorüber waren, hungerte ihn.
Da sagte der Teufel zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden. Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Da führte ihn der Teufel hinauf und zeigte ihm in einem Augenblick alle Reiche des Erdkreises. Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. 
Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.
Darauf führte ihn der Teufel nach Jerusalem, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich von hier hinab; denn es steht geschrieben: Seinen Engeln befiehlt er deinetwegen, dich zu behüten; und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, / damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.
Da antwortete ihm Jesus: Es ist gesagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.
Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel bis zur bestimmten Zeit von ihm ab.

Da ist einer der Versuchung des Teufels erlegen, schießt mir in den Kopf. Und sogleich die Empörung, dass es doch nicht sein darf, dass teuflische Gier, dass die Anbetung von Gewalt und Zerstörung sich durchsetzen, Erfolg haben. Die ohnmächtige Frage meldet sich: Warum weist du, Gott, den Teufel nicht in seine Schranken? Warum hat der gefräßige Teufel die Macht, die Reiche der Erde zu verteilen?
Nach einem Verstehen suchend, wie mir dieses Evangelium eine gute Nachricht sein und bleiben kann, stoße ich schon auf Ostern. Vom Glauben an die Auferstehung her will ich vertrauen, dass Jesu Weg weiterführt, dass sein Widerstehen die Logik ist, die Leben eröffnet. 
Jesus begegnet dem Teufel in der Wüste. Hätte er die Wüste jemals verlassen, wenn er den Verlockungen der Macht nachgegeben hätte? Und bei aller Weltpolitik stellt sich mir die Frage, in welcher Wüste ich gefangen bin … 

Dona nobis pacem
Zwischen den Gedanken eine Melodie, ein Lied: 

Verleih uns Frieden gnädiglich, 
Herr Gott, zu unsern Zeiten. 
Es ist doch ja, kein andrer nicht, 
der für uns könnte streiten, 
denn du, unser Gott, alleine.

In aller Hilflosigkeit verweist mich dieses Lied auf Gott, auf das Gebet. Es ist ja selbst schon Gebet, Bitte um Frieden. Um einen Frieden, der nicht fernab, gar jenseitig ist, sondern einen Frieden „zu unsern Zeiten“. Es ist Gebet, dass da ein Gott ist, eine Weisheit, die mit uns und für uns streitet. Auch dort, wo meine Hilflosigkeit nicht hinreicht. Und dann eine andere Weise, drei Worte nur:

Dona nobis pacem,
gib uns Frieden.

Beim kurzen Meditieren dieser drei Worte bleibe ich beim „nobis“ hängen. Hier betet, bittet ein „Wir“. Durch dieses Wir fühle ich mich den an Leib und Leben bedrohten Menschen, den Verängstigten, den Flüchtenden verbunden, trotz der Ferne nahe. Dieses Wir einer tief empfundenen Solidarität tröstet und erleichtert, als Ausdruck des Wenigen, was ich gerade tun kann.

Und dann will ich dieses Wir weiterdenken, zunächst widerstrebend, will auch die Aggressoren, die Befehlshaber und Soldaten hineindenken, dass sie sich unserer Bitte um Frieden anschließen, um einen Frieden, der jedoch niemals auf dem Weg der Gewalt zu erreichen sein wird. Dona nobis pacem. 

Gebet
Stärke mich, Friede,
stärke mir den Rücken,
dass ich aufrecht bleibe,
in meiner Aufmerksamkeit für das Leid,
in meiner Solidarität mit den Leidenden,
in meinem Widerspruch gegen die Gewalt,
in meinem Gebet für die Gewalttätigen.

Stärke mich, Friede,
stärke meine Seele,
dass sie mutig bleibe,
in meinem Einsatz für die Menschen,
in meiner Suche nach der Wahrheit,
in meinem Glauben an die Gewaltfreiheit,
in meiner Logik der Hoffnung.

Stärke mich, Friede,
stärke Rücken und Seele,
dass sie stark bleiben
aus dem Beispiel des Jesus von Nazaret,
aus dem Paradoxon des Kreuzes,
aus der Unerschöpflichkeit des Geistes,
aus Gott selbst.

 

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