Zum Inhalt [I]
Zur Navigation [N]
Kontakt [C] Aktuelles [2] Suchfunktion [4]

Pax Christi Bistumsstelle Würzburg

07. Dez 1999

Erklärung zum Balkankrieg v. 22.4.99 - W. Zecher und J.Herberich, Bistumsstelle Würzburg

Nur ein neutraler Vermittler kann zum Frieden befreien
Der erste Schritt zum Frieden: Das Sieger-Verlierer-Schema durchbrechen


Pax Christi, die internationale katholische Friedensbewegung, hat ihre Wurzeln im letzten verheerenden Krieg, der in Europa wütete. Noch vor Ende des zweiten Weltkriegs riefen französische Christen dazu auf, im Geiste der Feindesliebe um Frieden und Versöhnung mit den Deutschen zu beten und sich dafür einzusetzen. Dieser Versöhnungsgedanke wurde für Pax Christi zum Programm: Gegen die Logik der Gewalt und Vergeltung an die Kraft des Friedens zu glauben und für gewaltfreie Wege der Konfliktlösung einzutreten. Im aktuellen Kosovo-Konflikt schienen gewaltfreie, politische Wege gegenüber Milosevic versagt zu haben. Der Westen unter Führung der NATO sah es nicht nur als sein Recht, sondern als humanitäre Pflicht an, militärisch einzugreifen - auch auf eigene Faust ohne Beschluß der UN. Man könne nicht länger einfach nur zusehen und Milosevic gewähren lassen.

Wir nehmen in Pax Christi nicht für uns in Anspruch, die Lösung für diese Situation gehabt zu haben oder den Weg zum Frieden immer genau zu kennen. Aus unserer Sicht als Friedensbewegung wollen wir aber ein Element in die Diskussion einzubringen, das in der Logik militärischen Denkens offensichtlich keinen Platz hat. Die Position von Pax Christi ruht auf einem langjährigen konkreten Engagement in Friedensfragen: Der Arbeit in freiwilligen Friedensdiensten in Flüchtlingslagern in Kroatien und Bosnien seit vielen Jahren; der Beteiligung am Pilotprojekt "Ziviler Friedensdienst" , in dem seit über einem Jahr drei Fachkräfte für Pax Christi in Bosnien arbeiten; dem "Schalom-Diakonat" als kirchlich-spirituellem Friedensdienst; außerdem in der Asyl- und Flüchtlingsarbeit hier in Deutschland. Die erste Frage, die wir an das Vorgehen der NATO aus Sicht von Pax Christi richten möchten, ist:

1. Waren alle anderen Mittel ausgeschöpft, als die NATO beschloß, Serbien zu bombardieren?
Vor vier Wochen begann die NATO ihre Angriffe auf Serbien. Nach Meinung der verantwortlichen Politiker waren alle friedlichen Mittel, auf die Situation im Kosovo einzuwirken, ausgeschöpft. Als "ultima ratio", als letztes Mittel, Schlimmeres zu verhüten, schien nur noch der Militärschlag in Frage zu kommen.
In Pax Christi finden sich sowohl Pazifisten, als auch Menschen, die Gewaltanwendung als letztes Mittel nicht ausschließen wollen. Über diese unterschiedlichen Positionen hinweg gibt es erhebliche Zweifel daran, dass alle nichtmilitärischen Mittel ausgeschöpft waren:
Es gab in Serbien eine schwache, aber erkennbare politische Opposition, die monatelang offen gegen Milosevic demonstriert hatte. Die gemäßigten Kräfte im Kosovo betrieben seit dem Verlust der Autonomie 1989 einen gewaltfreien Widerstand. Die Regierung von Montenegro ließ schon vor Kriegsausbruch Distanz zum Kurs Milosevics erkennen. Diese Ansätze wurden vom Westen ignoriert oder erhielten zumindest keine deutliche Unterstützung. Die NATO drohte der UCK nicht in gleicher Weise wie der serbischen Regierung, obwohl der Konflikt auch durch den bewaffneten Widerstand der UCK angeheizt wurde.
Mit Milosevic, der jetzt als indiskutabel für Verhandlungen gilt, wurden 1996 Vereinbarungen getroffen über die Rückführung von Flüchtlingen in den Kosovo. Noch 3 Tage vor Beginn der Angriffe wurden Asylbewerber dorthin abgeschoben, mit der Begründung, dass ihnen dort keine "rechtserhebliche" Gefahr drohe. Nur wenige Tage danach sprachen deutsche Politiker von einer bereits seit einem Jahr systematisch geplanten und durchgeführten Verfolgung und Vertreibung der Kosovo-Albaner.
Das Scheitern des Rambouillet-Vertrags wurde einzig Slobodan Milosevic angelastet. Erst zwei Wochen nach dem NATO-Angriff wurden Einzelheiten aus dem Vertragsentwurf bekannt. Danach hätte die NATO nicht nur als Schutztruppe im Kosovo einrücken sollen, sondern de facto in ganz Serbien den Status einer Besatzungsmacht erhalten. Eine solche Klausel ist für jeden Staatsmann eine unzumutbare Forderung. Sie legt den Verdacht nahe, dass die NATO das Scheitern der Verhandlungen bewußt in Kauf genommen, wenn nicht gar provoziert hat.

Die NATO schaltete in der Kosovo-Frage andere mögliche Vermittler wie die UNO oder die OSZE völlig aus. Die Chancen, die eine unparteiische Person (z.B. Nelson Mandela) evtl. für eine Konfliktvermittlung gehabt hätte, wurden nicht ausgelotet. Die Möglichkeit, eine Schutztruppe unter UN-Mandat und russischer Beteiligung einzusetzen, wurde gar nicht erst in die Verhandlungen eingebracht.
All dies wirft starke Zweifel auf die Behauptung, die Militärangriffe der NATO seien die letzte Möglichkeit gewesen, auf den Konflikt zu antworten. Offensichtlich war das Interesse der NATO, sich als Ordnungsmacht in Südosteuropa zu beweisen. Mit dem Versuch, berechtigte hunanitäre Forderungen primär durch militärische Drohungen durchzusetzen, brachte sich die NATO in eine Sackgasse. Der drohende Gesichtsverlust und die Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit des Militärbündisses als Weltpolizei unter Beweis zu stellen, zwangen die NATO, den militärischen Weg zu beschreiten.
Auch nach Beginn der Militärintervention darf die Devise nicht einfach lauten: "Augen zu und durch" (amerikanischer Abgeordneter im Parlament: "Now we're in it, now we have to win it"). Auch im laufenden Konflikt muß die Frage gestellt werden:

2. Steht das militärische Vorgehen der NATO noch in einem angemessenen Verhältnis zu den vorgegebenen Zielen?
Erklärtes Ziel des NATO Einsatzes war der Schutz der Menschenrechte für die Kosovo-Albaner. Diesem Ziel wurde bisher durch die Militäraktion nicht im Geringsten gedient. Die Lage der Kosovo-Albaner hat sich vielmehr dramatisch verschlimmert, auch als Racheakt Serbiens. Eine Autonomie-Regelung für den Kosovo wird immer unwahrscheinlicher. Ein Zusammenleben von Serben und Albanern ist selbst unter der Präsenz einer Schutztruppe kaum mehr vorstellbar. Daneben müssen auch die Langzeitfolgen dieses Kriegs berücksichtigt werden:
Mit jedem weiteren Tag des Kriegs werden die Chancen, auf dem Balkan zu einer langfristigen Friedenslösung zu kommen, geringer. Die Bemühungen um Versöhnung zwischen den Volksgruppen in Bosnien erlitten schwere, vielleicht irreparable Rückschläge. Demokratische Opposition und die Zivilgesellschaft in Serbien werden durch diesen Krieg gleichermaßen zerstört.
Die Bombardierungen richten sich längst nicht mehr nur gegen militärische Ziele. Sie zerstören inzwischen ebenso gezielt die Infrastruktur des zivilen und wirtschaftlichen Lebens sowohl in Serbien wie im Kosovo. Unter den Folgen wird die Zivilbevölkerung auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zu leiden haben.
Die Gefahr einer Ausweitung des Krieges auf die ganze Balkanregion steht nach wie vor am Horizont. Darüber hinaus ist zu befürchten, dass das Handeln der NATO ohne UN-Mandat zu einem neuen globalen Wettrüsten führt. Länder wie China, Indien, Iran u.a. könnten darin die einzige Möglichkeit sehen, sich gegen militärische Drohungen durch die NATO zu wehren. Friedensforscher bewerten das Vorgehen der NATO, sich unter Umgehung der UNO selbst ein Mandat zu erteilen, als "Ursündenfall" mit bedrohlichen Folgen für die internationale Völkergemeinschaft.

3. Welche Schritte könnten jetzt noch die Eskalation der Gewalt unterbrechen?
Die Entwicklung des Kriegs auf dem Balkan belegt auf beklemmende Weise, dass Krieg kein Mittel zum Frieden sein kann, sondern neue Gewalt erzeugt. Auch in der Phase des heißen Konflikts müssen Möglichkeiten offengehalten werden, zu den Mitteln politischer Konfliktlösung zurückzukehren. Das militärische Vorgehen darf nicht zu einer Prestige-Angelegenheit für die NATO werden und so eine Eigendynamik entwickeln, die nicht mehr nach politischen Zielen für die betroffenen Regionen und ihre Menschen fragt. Ein Schwarz-Weiß-Denken im Sieger-Verlierer-Schema ist verhängnisvoll und läßt keinen Spielraum für andere Lösungen. Es macht die Konfliktparteien zu Gefangenen einer Vorgehensweise, die nur Kapitulation oder Eskalation kennt. Es übersieht außerdem, dass es in Serbien und Montenegro auch eine Opposition gibt, der durch die Bombardements der Boden unter den Füßen weggezogen wird.
Aus der Friedens- und Konfliktforschung und der Versöhnungsarbeit gibt es einschlägige Erfahrungen. In Auseinandersetzungen - egal ob zwischen Einzelnen oder Gruppen - kann nur ein wirklich neutraler Vermittler ohne eigene Interessen weiterhelfen. Als Konfliktvermittler kommt also niemand in Frage, der mit einer der kriegsführenden Parteien in engerer Beziehung steht (wie beispielsweise Helmut Kohl oder der russische Außenminister). Ebenso muß für eine spätere Friedenssicherung eine neutrale Schutztruppe gefunden werden. Das bedeutet: Die NATO muß ihren Alleinanspruch als Ordnungsmacht zurücknehmen und UNO oder OSZE wieder zum Zug kommen lassen und diese nach geeigneten Vermittlern suchen lassen. Eine solche Verhandlungslösung wird nicht unter laufendem Militäreinsatz zu beginnen sein. Es gilt, einen konditionierten Waffenstillstand auszuhandeln, der nicht die Kapitulation Serbiens voraussetzt.
Schließlich müssen die logistischen Anstrengungen für die humanitäre Versorgung der Flüchtlinge verstärkt werden. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass es leichter ist, umfangreiche militärische Ausrüstung nach Mazedonien und Albanien zu schaffen, als Flüchtlinge mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen.

Wolfgang Zecher, Sprecher Bistumsstelle Würzburg
Jürgen Herberich, Geschäftsführer Bistumsstelle Würzburg

Pax Christi Bistumsstelle Würzburg
c/o Jürgen Herberich
Nordstr. 38
97276 Margetshöchheim
Tel. 0931-467159 oder 94220
Fax 0931-9709042
Mail herberich@gmx.de