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Mexico: Offener Brief an Westerwelle

14. Jul 2011

Umsetzung der Urteile des Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte gefordert

Gemeinsam mit der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexico richtete pax christi folgenden offenen Brief an den Außenminister Guido Westerwelle:

Sehr geehrter Herr Bundesaußenminister,

anlässlich Ihres Besuches in Mexiko möchten wir Sie als Netzwerk „Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko“, das zu Menschenrechten in Mexiko arbeitet, bitten, in Ihren Gesprächen konkrete Fälle von Menschenrechtsverletzungen anzusprechen.

Aktuell sind zahlreiche Menschen in Mexiko, die sich für die Einhaltung von Menschenrechten engagieren, bedroht und werden verfolgt. Einer Untersuchung des Büros des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte zufolge waren in der Zeit von 2006 bis Oktober 2010 165 Fälle von Übergriffen auf Menschenrechtsverteidiger und Menschenrechtsverteidigerinnen (MRV) und zehn Morde an ihnen zu verzeichnen.1 Der Gesetzgebungsprozess für einen Schutzmechanismus, dessen Verabschiedung die mexikanische Regierung zugesagt hat, geht nur schleppend voran. Die vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte angeordneten Schutzmaßnahmen für die MRV werden seitens des Staates absolut unzureichend umgesetzt, so dass ein wirklicher Schutz nicht gewährleistet ist.

Die Strategie von Präsident Calderón, im "Kampf gegen die Drogenkartelle" das Militär zu nutzen und innerstaatlich vermehrt zum Einsatz zu bringen, ist nicht aufgegangen. Alternativen zur Bekämpfung der Kartelle, wie die Untersuchung der Geldströme, die national und von internationalen Kriminalisten angemahnt werden, werden von der Regierung ignoriert. Die Macht der mexikanischen Großkartelle, die mittlerweile stark diversifiziert und auch im legalen Wirtschaftssektor stark engagiert sind, wird auch in Deutschland häufig noch unterschätzt.

In einer solchen Situation scheint es uns völlig unangebracht, dass die deutsche Regierung die Verabschiedung eines Sicherheitsabkommens zwischen Deutschland und Mexiko anbietet, das insbesondere auf dem Sicherheitssektor zum Tragen kommen soll. Der Inhalt des Abkommens sieht auch den personellen Austausch vor. Als deutsche Nichtregierungsorganisationen halten wir es für verfehlt, die aktuelle Bekämpfungsstrategie der mexikanischen Regierung weiter zu unterstützen. Die Stärkung einer Polizei, die bekanntermaßen korrupt und zu erheblichen Teilen im Sold der Großkartelle steht, bringt keine Verbesserungen für die Bevölkerung, sondern ist eher kontraproduktiv und gegen deutsche Interessen.

Wir teilen die Ansicht unserer mexikanischen Partnerorganisationen, dass der zivile Sektor deutlicher unterstützt werden muss. Die integralen Menschenrechte können nur gewahrt werden, wenn alle Bürgerinnen und Bürger an der demokratischen Gestaltung des Gemeinwesens beteiligt werden. Die massiven Protestmärsche unterstreichen diese Forderung in eindrücklicher Weise. Zudem muss die Teilhabe der vulnerablen Bevölkerungsgruppen an diesen Gestaltungsprozessen sichergestellt werden.

Zur Stärkung des zivilen Sektors gehört auch die Einhaltung und Umsetzung der Urteile des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte in San José in Costa Rica. Sie greifen die strukturelle Fehlkonstruktion an, dass in Mexiko für Verbrechen von Angehörigen der Armee an Zivilpersonen die Militärgerichtsbarkeit ("fuero militar") zuständig ist. Der Gerichtshof hat Mexiko in den Jahren 2009 und 2010 in fünf Fällen von Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Trotz gegenteiliger internationaler Bekenntnisse hat die mexikanische Regierung die Urteile nicht umgesetzt. Beispielsweise findet die Abgabe des Verfahrens im Fall der beiden indigenen Frauen Inés Fernández Ortega y Valentina Rosendo Cantú, die von Angehörigen des Militärs im Jahr 2002 mehrfach vergewaltigt worden waren, an die Zivilgerichtsbarkeit nicht statt. Vielmehr kam es am 16. Juni zu einer erneuten Bedrohung, die unmittelbar Bezug auf die Urteile nahm: Gegen sie und die Mitglieder ihrer indigenen Organisation "OPIM", Cuauhtémoc Ramírez und Obtilia Eugenio Manuel, richtete sich ein Schreiben, dass sie mit dem Leben bedrohte, sollten sie die Weiterverfolgung der Umsetzung der Urteile nicht unterlassen.

Dies alles geschah, nachdem der Direktor des Menschenrechtszentrums "Tlachinollan", das die indigenen Frauen anwaltlich vertritt, am 27. Mai in Berlin den Menschenrechtspreis von Amnesty International erhalten und von Bundespräsident Wulff in seiner Rede geehrt worden war. Ebenfalls in unmittelbarem Zusammenhang steht die Wiedereröffnung eines zweiten Büros des Menschenrechtszentrums am gleichen Tag der Bedrohungen, dem 16. Juni 2011.

Angesichts der Nichteinhaltung der Vorgaben von internationalen Gremien halten wir ein klares politisches Signal von internationalen Partnern wie Deutschland für dringend notwendig.

Wir möchten Sie daher bitten, in Ihren Gesprächen mit den politischen Entscheidungsträgern und mit Präsident Calderón darauf hinzuweisen, dass

1) die Urteile des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen "Rosendo Radilla" vom 23.11.2009; "Campo Algodonero/Baumwollfeld" vom 16.11.2009, "Inés Fernández Ortega und Valentina Rosendo Cantú" vom 2.10.2010 sowie vom 15.5.2011 und "Campesinos Ecologistas" (Umweltbauern) vom 26.11.2010 umzusetzen und die darin geforderten Gesetzesreformen zu verabschieden sind. Dazu gehört insbesondere die Änderung der Gesetzgebung bezüglich der Militärgerichtsbarkeit (Reform von Art. 57 des Militärstrafgesetzbuchs und Art. 215 des Bundesstrafgesetzbuchs), damit Fälle von Menschenrechtsverletzungen durch Militärs zukünftig nicht mehr vor Militär-, sondern vor Zivilgerichten verhandelt werden. Dementsprechend muss das Verfahren in den Fällen von Inés Fernández Ortega und Valentina Rosendo Cantú an die Zivilgerichtsbarkeit abgegeben werden;

2) der geplante Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger in einem partizipativen Prozess und unter Berücksichtigung der Vorschläge der MRV erarbeitet und verabschiedet werden sollte;

3) Strategien, wie die Untersuchung der Geldströme, zur Bekämpfung der Verbrechen der Drogenkartelle gestärkt werden sollten.

Mit freundlichen Grüßen, im Namen der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko

Dr. Carola Hausotter, Koordinatorin