Bericht aus Jayyous - einem Dorf in der Westbank
14. Jun 2007
Jayyous ist ein Dorf mit ca. 3.500 Einwohnern, die Bevölkerung lebte zum größten Teil von Landwirtschaft. Fast jeder hatte eigenes Land und arbeitete dort entweder voll oder hatte eine andere Arbeit und bearbeitete zusäzlich Land.
Durch den Bau der Sperranlage hat sich die Situation im Dorf dramatisch verschlechtert. Im Bereich von Jayyous ist es ein Zaun, durch den 75 Prozent des landwirtschaftlichen Gebietes vom Dorf abgetrennt sind, sechs der sieben Brunnen liegen nun auf israelischem Gebiet. Der Zaun zieht sich durch die Olivenhaine, die landwirtschaftlichen Wege enden an aufgehäuften Erdwällen, die die Natur freundlich überwuchert. Immer wieder sieht man die endlose Trasse auftauchen, der Zaun scheint überall zu sein. Er verläuft hier bis 6 km östlich der Grünen Linie auf dem Gebiet der Palästinenser.
Wenn ich den Terminus Sicherheitszaun in diesem Zusammenhang benutze, dann um zu beschreiben, wie gut dieser Zaun gesichert ist: mit elektronischen Überwachungskameras und Sensoren, die jede Berührung - auch Steinwürfe - sofort registrieren und an eine Zentrale melden. Jeder Abschnitt wird kontrolliert. Die IDF (israelisches Militär) ist sofort zur Überprüfung zur Stelle.
Um auf ihren Feldern zu arbeiten brauchen die Farmer Genehmigungen, das Farmland, erreichen sie zur Zeit durch drei Tore (Gates), zwei im Bereich von Jayyous und eines im Nachbarort Falamya. Zwei Tore sind nur zu bestimmten Zeiten dreimal am Tag geöffnet, eines den ganzen Tag, von 6.00 bis 19.00 Uhr. Das bedeutet dann allerdings zwingend, dass die Farmer vor 19.00 Uhr zurück sein müssen, da es ist verboten ist, auf dem Farmland zu übernachten.
Unsere Aufgabe ist es u.a., an diesen Toren anwesend zu sein, um bei Problemen - meist Willkürakten einzelner Soldaten - die Palästinenser zu unterstützen, indem wir z.B. mit vorgesetzten Dienststellen Kontakt aufnehmen oder mit den Soldaten verhandeln. Wenn es dabei einen Erfolg zu verzeichnen gibt, z.B. die Erlaubnis für einen Traktor, doch passieren zu dürfen, weiß ich, dass wir doch etwas ändern können: Ganz winzige Dinge, aber auf die kommt es an.
Wir betreuen die Tore möglichst täglich morgens. Das heißt um 4.45 bzw. 5.00 Uhr aufstehen mit einem Fußweg von 15 bzw. 45 min zum jeweiligen Tor. Häufig erleben wir dabei auch schöne Sonnenaufgänge.
Bei unserer Ankunft hier war die Situation an den Toren sehr gespannt, es kam fast täglich zu Konfrontationen mit den Soldaten. Mir graute vor dieser Aufgabe. Glücklicherweise wechseln die Soldaten häufig und wir haben bisher keine größeren Schwierigkeiten erlebt.
Dennoch erinnere ich mich noch genau daran, wie mir die Haare im Nacken aufstanden, als ich das erste Mal eingreifen musste: Es gibt Linien zwischen den Toren, die man nicht überschreiten darf und gegenüber stehen immer vier Soldaten, meist mit den Gewehren im Anschlag. Ich habe die Linie einfach überschritten, um einem palästinensischen Farmer beizustehen. Dabe habe ich festgestellt, dass die Soldaten auch hilflos sein können, wenn man nicht auf ihre Zeichen reagiert. Der Konflikt wurde dann zugunsten des palästinensischen Farmers beigelegt und ich bin mittlerweile viel mutiger geworden. Bei meiner Ankunft morgens überschreite ich diese Linien immer, ein kleines Machtspiel, und sei es nur um Guten Morgen zu sagen.
Eigentlich ist es erschreckend, wie schnell ich mich an die Waffen an den Checkpoints und den Toren gewöhnt habe und auch, wie leichtfertig sie immer auf die Menschen gerichtet sind.
Eines meiner Ziele ist es, so viel wie möglich mit den Soldaten zu reden, um mehr über ihre Einstellungen und Beweggründe zu erfahren und sie dabei immer als Menschen zu sehen. Das war bisher glücklicherweise einfach, sie sind bereit zu sprechen, sie wollen uns auch kennen lernen. Etliche haben uns auch rundheraus gesagt, dass sie nicht einverstanden sind mit dem, was sie hier am Zaun tun müssen, und man merkt es dann daran, dass sie die Kontrolle leicht machen. Das gibt mir die Hoffnung, dass die Situation sich ändern kann.
Neben der Arbeit am Zaun bieten wir Englisch an, als Konversationsgruppen bei den jungen Frauen im Dorf, in den Ferien als Aktivität in der Mädchenschule, und an der Al Quds Open Univerity in Qalqiliya. Bildung wird hier sehr hoch geschätzt und die jungen Menschen sind an Sprachen sehr interessiert. Allerdings hören wir von den jungen Menschen immer wieder, dass sie nicht studieren können, weil die Eltern kein Geld mehr haben. Wir selbst nehmen Arabischunterricht bei zwei jungen Leuten im Dorf, Noor und Maii, die sich damit Geld für ihr Studium verdienen.
Ursel Kammann, Yayyous, im Juni 2007