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pax christi trauert um Ursula Mai

14. Okt 2020

Kämpferin für die Rechte der Opfer des Krieges

„Für mich gehört der Einsatz für die Opfer von Krieg und Gewalt, die als Flüchtlinge bei uns Schutz suchen ganz unmittelbar zur Friedensarbeit dazu.“

Am 9. Oktober 2020 ist Ursula Mai nach langer Krankheit gestorben. Ursula Mai war eine der Engagierten, die pax christi im Osten – in diesem Fall in Dresden – aufbauten. 

Wie viele andere pax christi-Engagierte begann Ursula Mai in den Neunzigern während des Balkankonflikts mit der Flüchtlingsarbeit. „1992 waren meine ersten Begegnungen mit 450 ‚Kontingent-Flüchtlingen aus Bosnien’. Bereits zuvor war sie in Kontakt mit ,,pax christi" gekommen und gründete bald danach eine ,,pax christi-Gruppe Dresden". 2002 folgte die Gründung der Abschiebungshaft-Kontaktgruppe, die Abschiebehäftlinge in der Justizvollzugsanstalt Dresden besuchte – weil sich „darum noch weniger kümmerten“ als um die Flüchtlinge überhaupt. Das Ziel von Ursula Mai war es stets, möglichst konkret zu helfen. Einige Gefangene konnten aus der Haft befreit und ins Asylverfahren gebracht und für manche sogar das Bleiberecht erwirkt werden. Dahinter steht die beeindruckende Beharrlichkeit dieser Frau in der Korrespondenz mit Anwälten, Ärzten und Ämtern aller Art.  

Ursula Mais politische Heimat war der Konziliare Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung. Als Gemeindereferentin war sie in den achtziger Jahren in der Johannstädter Kirche in Dresden im Team mit Pfarrer Wolfgang Luckhaupt tätig, der – so schilderte sie es – ein geistig munterer Mann war und der Zeit Jahrzehnte voraus. Leider verunglückte dieser Pfarrer kurz vor der Wende. Der Nachfolger hatte einen anderen Stil. Ursula Mai erfuhr, wie sie längst als „nicht richtig katholisch“ verschrien war. 1991 verließ sie den kirchlichen Dienst und arbeitete bis zur Erreichung des Rentenalters im April 1994 beim Kindernotdienst der Stadt Dresden. Warum? Sie hörte zu oft „das schaffen der Kaplan und ich alleine“. Mit verschmitztem Hinweis, dass ja heute auch der Papst den Klerikalismus kritisiere, nannte sie den verbreiteten katholischen Klerikalismus auch in der DDR als Hintergrund ihres frühen Ausstiegs aus der Gemeindearbeit. Sie wollte sich engagieren, wollte tätig sein, nicht „am Arbeitsplatz Illustrierte lesen“. In der Flüchtlingsarbeit hatte sie fortan ihren Platz gefunden und startete einen ehrenamtlichen Vollzeit-Job. 

„Bekanntlich werden Probleme nicht kleiner, sondern größer, wenn man die Suche nach einer Lösung aufschiebt.“ Dieses Zitat aus einem ihrer letzten Briefe an die Sächsische Zeitung könnte ihr Leitsatz sein. Mai kommentierte in jenem Leserinnenbrief einen Artikel vom 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, über den Aufmarsch von 250 Neonazis. Warum lässt man die gewähren statt den Anfängen zu wehren, fragte sie und sie wusste, wovon sie spricht. Geboren im Jahr nach Hitlers Machtergreifung in Bautzen wuchs Ursula Mai in der katholischen Enklave Schirgiswalde in der Oberlausitz mit der politischen Erfahrung des Lebens in Diktaturen auf. Jahrelang war sie der Motor eines Bündnisses aus pax christi, dem DGB und anderen Dresdner Engagierten, das Kundgebungen gegen den Irak-Krieg und alle folgenden Kriege sowie für die Rechte von Asylbewerbern und für Demokratie und Toleranz in Kirche und Gesellschaft organisierte.  

Der Kampf gegen den Missbrauch Dresdens als Treffpunkt für die Neonazis Europas war Anlass meiner ersten Begegnung mit Ursula Mai. Eine starke Stimme am Telefon war es, die mich einlud nach Dresden zu kommen, mit zu demonstrieren. Das war 2009, als ein CDU-Abgeordneter versuchte, uns kirchliche Aktive zu stillem Gedenken anzuhalten und von der Unterstützung der „Geh-Denken-Demonstration am 13. Februar“ abzubringen. Zur großen Kundgebung konnte sie selbst dann nicht mitkommen. Ihre Gesundheit ließ es schon damals nicht zu. Am Abend berichtete sie: Ich habe am Fenster gestanden und musste wieder mit ansehen wie Nazis in Dresden aufmarschieren. „Alle in Schwarz, klassische Musik schmetterte, der Zug war sechsreihig und ich konnte es gar nicht aushalten.“ Kurz darauf war sie die Initiatorin der Gründungs-Mitgliedschaft der pax christi-Bewegung in der Bundesarbeitsgemeinschaft „Kirche und Rechtsextremismus“/BAG K&R. 

Es wurden Menschen gebraucht, die den Flüchtlingen von Herzen begegnen

Danach arbeitete Ursula Mai meist vom Schreibtisch in einem winzigen Büro, dem Sitz von „pax christi-Flüchtlingskontakte Dresden“. Dort standen Akten von an die tausend Besuchen von Menschen in der Abschiebehaft. Notizen, Briefe, Eingaben an Sozialämter und Ministerien. „Ich habe manches aufgestochen und manches erreicht; sachlich, freundlich aber beharrlich und bis an die Grenze gehend.“ Als Schlüsselerlebnis schilderte sie einen Besuch im zum Asylbewerberheim umfunktionierten NVA-Raketenstützpunkt. Der ehemalige NVA-Offizier war zum Heimleiter ernannt worden und „so hat er das Heim geleitet“. „Dabei wurden Menschen gebraucht, die den Flüchtlingen von Herzen begegnen.“ Bei einem Diskussionsabend mit dem Ausländerbeauftragten erhob sie ihre kräftige Stimme aus dem Plenum und erlebte, wie kurz darauf die Wohnsituation der Flüchtlinge in Dresden tatsächlich verbessert wurde. Aus der Kaserne in Wohnungen in der Stadt. „Ich war ja nicht Demokratie erfahren aber ich habe gelernt, dass ich etwas für die Asylbewerber in Sachsen erreichen kann“ – und dieses Thema ließ sie nicht los. Ihr größter Wunsch war eine neue Asyl-Kommission in pax christi. „Zum Engagement bereite Menschen, denen der Schutz bedrängter fremder Mitmenschen am Herzen liegt und die dies öffentlich zeigen wollen“. 

Die letzten Worte sollen Ursula Mai selbst gehören 

„Rückblick – 85 Jahre Leben: Beginnen möchte ich mit einem großen DANK für Vieles! Nicht zuletzt dafür, dass ich 70Jahre fast keinen Arzt gebraucht habe. Dann meldete sich mit immer stärkeren Schmerzen, die Spinalkanalstenose. Jetzt musste ich Hilfe bei Schmerztherapeuten suchen. 2015 landete ich dann in einer sächsischen Spezialklinik mit der großen Hoffnung auf Linderung. Das Gegenteil war der Fall. Die Schmerzen blieben und starke Bewegungseinschränkungen musste ich in Kauf nehmen. Seitdem bin ich für jeden Schritt an den Rollator gebunden. Auch am Computer sitzen und schreiben geht nicht mehr.“ 

Dieses Portrait schrieb pax christi-Generalsekretärin Christine Hoffmann, aktuell ergänzt durch „letzte Worte“ von Ursula Mai