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Gerechter Frieden durch gewaltfreie Aktionen

28. Nov 2016

Gewaltfreie Aufstände sind erfolgreicher als gewaltsame!

Dies weist die Politikwissenschaftlerin Maria J. Stephan aus Washington in der Studie „Warum ziviler Widerstand funktioniert: Die Strategische Logik friedlichen Konflikts“ nach. Auf Einladung der deutschen pax christi-Sektion machte Maria J. Stephan eine Vortragsreise durch Deutschland, die in Fulda bei der pax christi-Delegiertenversammlung begann. Beraten wurde, welche Bedeutung kann diese Erkenntnis für katholisches Friedensengagement entfalten. Die am US-Friedensinstitut (USIP) und beim Atlantic Council tätige Forscherin beschäftigte sich u.a. mit der syrischen Opposition in der Türkei und schrieb einen der Grundlagentexte für die Konferenz zu Gewaltfreiheit und gerechtem Frieden von Pax Christi International und dem Päpstlichen Rat im Frühjahr 2016 in Rom. 

Gerechten Frieden fördern mit strategisch geplanter, gewaltfreier Aktion

„Soziale Ungleichheit erzeugt früher oder später eine Gewalt, die der Rüstungswettlauf nicht löst, noch jemals lösen wird. Er dient nur dem Versuch, diejenigen zu täuschen, die größere Sicherheit fordern, als wüssten wir nicht, dass Waffen und gewaltsame Unterdrückung, anstatt Lösungen herbeizuführen, neue und schlimmere Konflikte schaffen.“
(Evangelii Gaudium (‚Die Freude des Evangeliums‘), Papst Franziskus, 2013, Nr. 60)

Rund um den Globus, von Guatemala bis Polen, von Venezuela bis Palästina, schließen sich einfache Menschen zusammen und wenden sich aktiv und selbstverständlich gewaltfrei gegen ungerechte Systeme, Ungleichheit und Unterdrückung. Ihr Einsatz reiht sich in die lange Geschichte gewaltfreier (Volks-)Bewegungen ein, wie der von Mahatma Gandhi angeführte Unabhängigkeitskampf Indiens, die polnische Solidarność-Bewegung gegen das kommunistische Regime, die Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika, die friedliche Vertreibung des Diktators Augusto Pinochet in Chile und gewaltfreie Menschenrechtsbewegungen der jüngeren Zeit in Tunesien, Guatemala, Brasilien und an anderen Orten.

Methoden gewaltfreier Aktion

Bei den bisher genannten Beispielen handelten unbewaffnete Bürger*innen gewaltlos und wirkungsgerichtet. Der amerikanische Soziologe Gene Sharp bezeichnet diese als Methoden außerhalb institutionalisierten Verhaltens, die zu sozialem Wandel führen und dem ungerechten Machtgefälle mit Methoden wie Protest, Nichtzusammenarbeit (Noncooperation) und Eingriffen in das gesellschaftliche System ohne Anwendung oder Androhung von Gewalt, die Leiden verursacht, entgegentritt.[1] Die theoretische Basis für gewaltfreien Widerstand, die Sharp und andere Wissenschaftler*innen vor ihm, wie z. B. die deutsche Philosophin Hannah Ahrendt, formulierten, besagt, dass Macht nicht statischm sondern abhängig von der Zustimmung und Mitwirkung der Normalbürger ist, die ihre Unterstützung beschränken oder verweigern können. Sharp nennt sechs wesentliche Quellen politischer Macht, die es in allen Gesellschaften – wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung – gibt: Autorität, menschliche Ressourcen, materielle Ressourcen, Fertigkeiten und Wissen, unsichtbare Faktoren, Sanktionen.[2] Demzufolge werden jene Organisationen und Institutionen in der Gesellschaft, die das Regime mit den nötigen Machtquellen versorgen, als „Säulen“ bezeichnet.  Wenn eine große Zahl von Menschen dieser verschiedenen „Säulen“ (Bürokraten, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, staatliche Medien, Bildungsinstitutionen, religiöse Institutionen, Streitkräfte etc.) verschiedene gewaltfreie Methoden anwenden, um einem Regime oder anderen Machthaber durch ihren Zusammenschluss die Zusammenarbeit oder Zustimmung zu verweigern, so kann dies die Machtverhältnisse ohne Bomben und Gewehre vom Unterdrücker zum Unterdrückten verschieben.

Sharp benennt 198 Methoden gewaltfreien Handelns, wie friedliche Protestmärsche, Mahnwachen, Sozial- und Wirtschaftsboykotte, Boykotte gesellschaftlicher Ereignisse, Sit-Ins (Besetzung von Räumen und Gebäuden), Straßentheater, satirisch-parodistische Auszeichnungen, Aufbau alternativer gesellschaftlicher Strukturen und Institutionen (wie sie in Gandhis „Konstruktivem Programm“ vorgesehen sind, das den sozialen Aufstieg der Armen und Ausgegrenzten vorsieht).[3] Die zunehmende Bedeutung sozialer Medien wie Facebook, Twitter, WhatsApp und Instagram haben dazu geführt, dass immer mehr Taktiken möglich werden, die neue Zugänge für die Kommunikation, Mobilisierung und wechselseitiges, grenzübergreifendes Lernen ermöglichen. Erfolgreiche Bewegungen haben Online- und Offline-Formen der Mobilisierung, Organisation und direkten Aktion angewandt. Online-Aktionen können aber nie ein vollständiger Ersatz für Offline-Aktionen sein.  

Der gewaltlose Kampf beruht auf mutigem Vorgehen, strategischer Planung und bei vielen Menschen, die sich am gewaltlosen Widerstand beteiligen, auf spiritueller Disziplin und Motivation. Bei vielen zum Symbol gewordenen, historischen gewaltlosen Bewegungen – von der katholischen Arbeitnehmerbewegung, der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung bis zum Kampf für Demokratie der „Volksbewegung“ in den Philippinen, den Kämpfen gegen die Diktaturen in Polen, Argentinien und Chile – spielten die katholische und andere christliche Glaubensgemeinschaften eine wichtige Rolle: sie benennen Ungerechtigkeiten, ermutigen zu weltweiter Solidarität, stellen ihre organisatorischen Stärken zur Verfügung und versorgen die Aktivisten und gewaltlosen Erneuerer mit spiritueller Nahrung.[4]

Trotz dieser Erfolge wirken sich die großen Wirtschaftsdisparitäten, institutionalisierter Rassismus und Diskriminierung, langwierige Kriege zwischen Staaten und der Aufstieg extremistischer Gruppierungen nach wie vor weltweit verheerend auf Leben und Existenzgrundlagen der Menschen aus. Der Bürgerkrieg in Syrien, der als gewaltloser Aufstand gegen die Diktatur von Bashar al Assad 2011 begann, hat inzwischen 250.000 Menschenleben gefordert. Der Islamische Staat im Irak und Syrien (ISIS) besetzt mit brutalen Methoden Gebiete, um einen totalitären islamischen Staat zu errichten. In Uganda, dem Land mit der durchschnittlich jüngsten Bevölkerung in Afrika, wurde die Autokratie von Yoweri Museveni kürzlich um fünf weitere Jahre nach den von Gewalt, Betrug und Einschüchterung gekennzeichneten Wahlen im vergangenen Februar verlängert. In den USA richten sich strukturelle Ungerechtigkeiten und Polizeigewalt vor allem gegen Afroamerikaner. Politiker verwenden Angstmacherei, Fremdenfeindlichkeit und Hass als Teil ihrer Machtstrategie.

Gewaltloser Widerstand ist erfolgreicher als Gewalt

Zwar sind diese und andere Ungerechtigkeiten global weit verbreitet, aber es gibt Grund zu großer Hoffnung. Die katholische Soziallehre fordert in erster Linie, Krieg zu vermeiden und gewaltsame Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen.[5] Erfreulicherweise haben empirische Daten bewiesen, dass es zur Schaffung sozialer Gerechtigkeit – der Basis des Friedens (Papst Paul VI.) [6] – eine Kraft gibt, die stärker ist als Gewalt. Gemeinsam mit Erica Chenoweth (Universität Denver, USA) habe ich recherchiert. 2011 veröffentlichten wir unsere Forschungsarbeit:  „Why Civil Resistance Works: The Strategic Logic of Nonviolent Conflict“ (Warum ziviler Widerstand funktioniert. Die strategische Logik des gewaltlosen Konflikts). Wir kamen zu einem eindeutigen Schluss: Gewaltloser Widerstand gegen einen starken Gegner (damit kann auch eine herrschende Militärmacht gemeint sein) erzielte doppelt so häufig Erfolge als bewaffneter Widerstand.  Wir untersuchten 323 gewaltsame und gewaltfreie Kampagnen gegen etablierte Regime und Besatzung in der Zeit von 1900 bis 2006. Bei den genannten politischen Zielen stellte sich heraus, dass von den gewaltfreien Kampagnen 54% erfolgreich waren, aber nur 27% der gewaltsamen Kampagnen.[7]

Aus der Studie geht auch hervor, dass gewaltfreie Kampagnen in einem Zusammenhang mit demokratischen und friedlichen Gesellschaften stehen. Siege bewaffneter Rebellen führten fast nie zur Schaffung von demokratischen Gesellschaften (unter 4%); schlimmer noch: sie endeten später oft noch in einem Bürgerkrieg. Die Daten zeigen deutlich, dass die Mittel, mit denen die Menschen gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung vorgehen, großen Einfluss auf die Art der Gesellschaft haben, die darauf folgt. Für die katholische Glaubensgemeinschaft, die vor allem Krieg vermeiden und Menschenleben schützen will und dies als moralisches Fundament der Gesellschaft betrachtet, sind das wichtige Erkenntnisse.

Warum ist gewaltloser ziviler Widerstand so viel erfolgreicher als Gewalt? Kurz gesagt: weil daran mehr Menschen beteiligt sind. Durchschnittlich haben gewaltfreie Kampagnen elf Mal mehr Teilnehmende als bewaffnete Kampagnen. Bei gewaltfreien Kampagnen gibt es viel weniger physische, moralische, informatorische Hindernisse und Probleme der Verbindlichkeit als bei gewaltsamen Kampagnen, es können also junge und ältere Menschen, Männer und Frauen, Reiche und Arme, Menschen mit und ohne Handicap, Bauern und Büroangestellte an gewaltlosen Aktionen teilnehmen. Es gibt eine große Bandbreite gewaltfreier Methoden, dadurch wird die Teilnahme erleichtert. Sharps Liste ist durch die stärkere Nutzung sozialer Medien und neue Methoden kreativer gewaltfreier Widerständler weltweit noch um viele Punkte erweitert worden. Wenn viele Menschen verschiedener sozialer Gruppierungen sich an Protest, Nichtzusammenarbeit und gewaltlosem Widerstand beteiligen, erzeugen diese einen sozialen, politischen, wirtschaftlichen und moralischen Druck für einen Wandel. Wenn Gewalt gegen disziplinierte, gewaltlose Demonstranten angewandt wird, ist – gegenüber bewaffneten Widerständen – die Chance deutlich höher, dass diese Gewalt fehlschlägt und sich gegen den Gewaltausübenden richtet, der dadurch seine Legitimität und Macht verlieren kann.[8]

Strategien, Religion und Widerstand

Auch wenn gewaltlose Bewegungen oftmals spontan und kreativ sein können, sind sie doch erfolgreicher, wenn grundlegende, strategische Prinzipien befolgt werden. Es ist notwendig, sich über greifbare Ziele und gewaltfreie Methoden einig sein, Kapazitäten für die Erhaltung gewaltfreier Disziplin aufzubauen, die Beteiligung möglichst heterogen anzulegen und neue Taktiken zu entwickeln. In ihrer Publikation „Strategic Principles of Nonviolent Action“ beschreiben Peter Ackerman und Christoph Kruegler, ebenso wie Robert Helvey in seinem Buch „On Strategic Nonviolent Conflict“, erstmals die strategische Dimension des gewaltlosen Widerstands.[9] Erica Chenoweth und ich selbst untersuchten in unserer Publikation „Why Civil Resistance Works“ auf der Grundlage von Werken des Soziologen Brian Martin und anderer, warum staatliche Gewalt gegen gewaltfreie Bewegungen (versus bewaffnete Demonstranten) häufiger dazu führt, dass diese dann auf  den Gewaltausübenden zurückfällt und zu einer noch stärkeren Unterstützung der Bewegung führt. Unsere Forschungen haben ergeben, dass es strategisch bedeutsam ist, innovative Taktiken zu entwickeln und zwischen Methoden der Konzentration (Aufmärsche, Sit-ins) und der Dispersion (Verbraucherboykotte, Bummelstreiks) zu variieren.[10]

Das auf verschiedenen Techniken basierende Konzept für die gewaltfreie Aktion, das Sharp, Ackerman und andere skizzieren, konzentriert sich auf die pragmatische, nützliche Anwendung gewaltfreier Aktionen, losgelöst von religiösen oder ideologischen Grundlagen. Dieses Konzept ist gekennzeichnet durch „prinzipienbasierte Gewaltfreiheit“, dessen Anhänger lehnen Gewalt generell ab und sind typische Pazifisten. Ein Vorteil des prinzipienbasierten Konzepts ist, dass es dennoch die Teilnahme von Nicht-Pazifisten (also der meisten Menschen weltweit) erlaubt. Es wird dadurch möglich, Menschen, die unter Unterdrückung leiden und andernfalls möglicherweise zu Waffen greifen würden oder gegriffen haben, zu überzeugen, dass es bessere Wege gibt, Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Es ist dann nicht notwendig, sie erst davon zu überzeugen, dass Gewalt immer der falsche Weg ist. Der bekannte Pazifisten und Quäker George Lakey, der Gewaltlosigkeit unterrichtete und selbst anwandte, prägte den berühmten Ausspruch: „Die meisten Menschen, die an gewaltfreien Kampagnen teilnehmen, sind keine Pazifisten und die meisten Pazifisten würden sich nicht an gewaltfreien Kampagnen beteiligen.“[11] Andererseits bietet eine moralische, religiöse, philosophische Verankerung des prinzipienbasierten Konzepts einen Mehrwert, wenn es in schwierigen Situationen (die es oft gibt) darum geht, gewaltlos zu bleiben und die Versuchung, Gewalt anzuwenden, groß ist. Gewaltlosigkeit bietet der Gesellschaft und der ganzen Welt eine langfristige Perspektive, die auf gewaltloser Kommunikation, friedlichem Miteinander und Versöhnung basiert.

In der Praxis ist die Trennlinie zwischen prinzipienbasierten und pragmatischen gewaltlosen Traditionen nicht so ausgeprägt.[12] Spiritueller Glaube und religiöse Organisationen und Institutionen haben oft in gewaltfreien Bewegungen eine entscheidende Rolle gespielt. Mahatma Gandhi selbst, der ein ausgezeichneter Stratege war, arbeitete eine Strategie des gewaltlosen Widerstands gegen die britischen Kolonialherren aus, die vom Glauben inspiriert war. Für ihn war Jesus der Inbegriff der Gewaltlosigkeit.[13] Praktisch gesehen ist es für eine gewaltfreie Bewegung sehr schwierig, festgefahrene und langjährige Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und dabei den Kampfgeist und die aktive Beteiligung über längere Zeit hochzuhalten. Auch Aktivisten können ein „Burn out“ erleiden. Nachhaltiger Widerstand ist beschwerlich. Unter solchen Umständen benötigen Aktivisten und die Führer der Bewegungen eine Quelle der Inspiration, der Ermutigung und des Auftankens. Ihre Kraft und Widerstandsfähigkeit hängen davon ab.

Glaubensgemeinschaften und -institutionen liefern dieses Gefühl gemeinschaftlicher Solidarität, geistliche Nahrung und sie pflegen tugendhafte Gebräuche. Ohne die spirituelle und organisatorische Kraft der sog. „Schwarzen Kirchen“ wäre die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung wohl kaum so lebendig und erfolgreich gewesen. Die bemerkenswerten Bilder der philippinischen Nonnen, die mit dem Rosenkranz in der Hand vor Diktator Ferdinand Marcos Soldaten knieten, und die Worte des Erzbischofs von Manila, Kardinal Jamie Sin, der in Radio Veritas Gerechtigkeit erflehte,  trugen dazu bei, den gewaltlosen, mutigen Kampf für die Demokratie in den Philippinen 1986 anzufachen. Erzbischof Desmond Tutu von Südafrika berief sich auf Glaubensüberzeugungen, die auf Gerechtigkeit und Versöhnung gründen, und forderte nachdrücklich einen gewaltlosen Kampf für ein freies Südafrika. Dabei beharrte er darauf, dass der Wille zur Vergebung Leitprinzip im Post-Apartheidstaat sein müsse. In Osttimor, das nach der brutalen indonesischen Militärbesatzung 2002 die Unabhängigkeit erlangte, verurteilten katholische Priester und Nonnen im ganzen Land die Verbrechen der indonesischen Streitkräfte. Sie beschützten die jungen Leute und andere, die gewaltfrei für die Selbstbestimmung des Landes kämpften, und leisteten materielle Unterstützung.

In Liberia, das viele Jahre Bürgerkrieg zwischen bewaffneten Rebellengruppen und der Regierung von Charles Taylor aushalten musste, fand sich eine Gruppe von Kirchgeherinnen, die gemeinsam eine bemerkenswerte direkte Aktionskampagne organisierten und die kriegsführenden Parteien damit so unter Druck setzten, dass diese 2003 das Friedensabkommen unterzeichneten. Friedensmahnwachen, sexuelle Verweigerung und sozialer Druck waren dabei nur einige ihrer Taktiken.[14] In Guatemala boykottierte, streikte und protestierte eine breite Koalition aus Bauern, Studierenden, Anwälten und religiösen Führern gegen die langjährige korrupte Regierung und zwangen dadurch den kleptokratischen Präsidenten 2015 gewaltfrei zum Rücktritt. Das war für ein Land, das während drei Jahrzehnten unter einem Bürgerkrieg gelitten hatte, ein bemerkenswerter Erfolg.[15] Das von Schwester Simone Campbell gegründete, US-amerikanische Netzwerk „Nuns on the Bus“ (Nonnen im Bus) fährt seit 2012 mit dem Bus quer durchs Land, um sich an die Seite der einfachen Menschen zu stellen. Dadurch ist es zu einem Ventil für kreative und hoffnungsvolle Lösungen für die Katholiken (und alle Amerikaner), die ökonomische Gerechtigkeit, Immigrationsreformen, Gleichheit und Bürgerengagement anstreben, geworden.[16]

Katholische Lehre und Solidarität mit den gewaltlosen Aktivisten

Die heutige katholische Lehre von der Gewaltlosigkeit basiert auf Dokumenten wie „Pacem in Terris“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, den Botschaften der Päpste zum Weltfriedenstag und den Hirtenbriefen der US-amerikanischen Bischöfe: „The Challenge of Peace“ (Die Herausforderung des Friedens) und „The Harvest of Justice is Sown in Peace“ (Die Ernte der Gerechtigkeit wird im Frieden gesät).[17] Die katholische Soziallehre legt den Schwerpunkt auf die angeborene Würde des Menschen, die Bedeutung gesellschaftlicher Teilnahme, Rechten und Pflichten, den Vorrang der Armen und Schwachen, die Würde der Arbeit und die Rechte der Arbeiter, die Bedeutung der globalen Solidarität und der Schöpfungsverantwortung. Im Kontext der katholischen Soziallehre ist der gläubige Bürger verpflichtet, sich an gewaltlosen Aktionen zu beteiligen, um die Rechte und Würde der Ärmsten und Schwächsten zu fördern. Das schließt auch jene mit ein, gegen deren grundlegenden Rechte auf Leben und Arbeit durch ein ungerechtes Machtsystem verstoßen wird.

Die kirchliche Mission für soziale Gerechtigkeit wird durch den expliziten Willen, jene zu unterstützen, die sich für grundlegende Menschenrechte und Menschenwürde mit aktiven gewaltlosen Mitteln einsetzen, noch weiter gestärkt. Auch wenn es manchmal Spannungen gibt zwischen jenen, die sich für „Frieden“ und jenen, die sich für „Gerechtigkeit“ einsetzen, sollten zwischen diesen Lagern Brücken geschlagen werden, so deutete es der Päpstliche Rat für Gerechtigkeit und Frieden an.[18] Grundsätzlich gibt es keine Gegensätze bei Methoden, die den Status quo durchbrechen und solchen, die sich für Dialog, gegenseitiges Verständnis und Versöhnung einsetzen. Mit seinem berühmten „Brief aus dem Gefängnis von Birmingham“ gibt Martin Luther King jenen Antwort, die die gewaltlosen Protestaktionen der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung als „unklug und zeitlich ungünstig“ verurteilten und suchte den Dialog mit ihnen: „Warum direkte Aktionen? Warum Sitzstreiks, Aufmärsche und dergleichen? Wäre der bessere Weg nicht der der Verhandlung gewesen? Sie haben ganz Recht damit, auf den Verhandlungsweg hinzuweisen. Gerade das ist ja der Zweck der gewaltlosen direkten Aktion. Sie will eine Krise herbeiführen, eine schöpferische Spannung erzeugen, um damit eine Stadt, die sich bisher hartnäckig gegen Verhandlungen gesträubt hat, zu zwingen, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen.“[19]

Bei Konflikten mit ungerechter Machtverteilung und institutionalisierter Diskriminierung können sich die Machtverhältnisse verschieben und dadurch Verhandlungen und einen dauerhaften Frieden möglich werden. Gewaltsame extremistische Gruppierungen wie der Islamische Staat rekrutieren unzufriedene Jugendliche und andere, indem sie behaupten, man könne nur mit Gewalt gegen Ungerechtigkeit und Ausgrenzung vorgehen. Dieses Narrativ muss dringend beanstandet werden. Es gibt bemerkenswerte Beispiele im Irak und in Syrien für gewaltfreien Widerstand gegen den Islamischen Staat.[20] In Kenia griffen Kämpfer der al-Shabaab-Miliz 2014 einen Bus an und forderten die Passagiere auf, sich nach Christen und Muslimen aufzuteilen – das war eine Methode, wie sie vor den Massenmorden an den Christen angewandt wurde. Die muslimischen Reisenden, größtenteils Frauen, weigerten sich, die Christen auszuliefern. Sie forderten die Terroristen auf, sie entweder alle zu töten oder zu verschwinden und gaben christlichen Frauen Hijabs, also muslimische Verschleierungen. Die Terroristen zogen sich daraufhin zurück.[21] Glücklicherweise gibt es starke Alternativen zur Gewalt. Die Kirche hätte die wichtige Rolle, die Botschaft zu vermitteln, dass gewaltloser Widerstand tatsächlich erfolgreich und glaubenskonform ist.

Fazit

Durch ihre Lehre, Fürsprache und Einsatz für die Friedensförderung und soziale Gerechtigkeit weltweit, verfügt die katholische Kirche über zahlreiche moralische und materielle Ressourcen, um für eine Welt ohne Gewalt einzutreten. Wenn sie sich mit ihrer Lehre, Bildung und Ausbildung, mit dem politischen Arm der Kirche, mit ihren pragmatischen Programmen für jene einsetzt, die sich rund um den Globus im gewaltlosen Widerstand für Rechte, Frieden und Würde engagieren, zeigt sie einen konkreten und machtvollen Weg auf, der Gewalt weltweit zu begegnen. Zunehmende Solidarität mit jenen, die sich für einen gewaltlosen Wandel weltweit einsetzen, und deren materielle Unterstützung tragen auch konkret dazu bei, dass weniger Menschen getötet werden, als wenn Waffen verwendet werden oder Regierungen Bomben abwerfen.

Glücklicherweise gibt es auch immer mehr Materialien – Bücher, Filme, Anleitungen für gewaltlose Aktionen, Online-Kurse – und immer mehr Organisationen weltweit, die dazu beitragen, entsprechende Kompetenzen aufzubauen und konfliktgebeutelten Gemeinschaften dabei zu helfen, gewaltfrei für einen Wandel einzutreten. Ich will nur einige dieser Organisationen in den USA nennen: das U.S. Institute of Peace, Rhize, das International Center on Nonviolent Conflict, Nonviolent Peaceforce, das American Friends Services Committee, Operation Dove und das Team der Christian Peacemakers. Wenn diese gemeinsam mit anderen besonders aktiven und erfolgreichen Organisationen, wie pax christi, Mercy Corps, Caritas International und den Catholic Relief Services, ihre Partnerschaften und Synergien vertiefen und damit ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zu strategischen, gewaltfreien Aktionen verbessern, könnten damit gewaltsame Konflikte weltweit verhindert oder abgemildert werden. Auf strategischer Ebene muss Krieg prinzipiell angeprangert und müssen gleichzeitig jene, die gewaltfrei gegen Ungerechtigkeiten vorgehen (einschließlich jener, die an den Frontlinien des gewaltfreien Wandels mit friedlichen Mitteln kämpfen) explizit unterstützt werden. Das wäre ein großer Schritt in Richtung der Vision von Papst Franziskus von einer Welt, in der Konflikte ohne Gewalt gelöst werden.

Übersetzung aus dem Englischen: Diplom-Übersetzerin Marion Wittine, pax christi Diözesanverband München & Freising



[1] Gene Sharp, Social Power and Political Freedom, Boston: Porter Sargent Publishers, 1978.

[2] Gene Sharp, Von der Diktatur zur Demokratie. Ein Leitfaden für die Befreiung, München, 2011. Aus dem Glossar S. 112-119: 1. Autorität (nach Jacques Maritain) „…das Recht zu befehlen und zu leiten, gehört und anerkannt zu werden“. Die Überzeugung bei den Menschen, dass das Regime legitim ist und dass es ihre moralische Pflicht ist, ihm zu gehorchen. 2. Menschliche Ressourcen: Die Zahl und Bedeutung von Personen und Gruppen, die gehorchen, kooperieren und die den Herrschenden dabei unterstützen, seine Willen durchzusetzen. Entscheidend dabei ist der Anteil solcher Personen und Gruppen an der Gesamtbevölkerung sowie die Größe, Form und Unabhängigkeit ihrer Organisationen. 3. Fertigkeiten und Wissen: Fertigkeiten und Wissen, die von den kooperierenden Personen und Gruppen eingebracht werden und deren Bedeutung davon abhängt, wie sehr der Regierende ihrer bedarf. 4. Unsichtbare Faktoren: Psychologische und ideologische Faktoren, welche die Menschen dazu bringen, dem Herrschenden zu gehorchen und ihn zu unterstützen, sowie das Vorhandensein eines gemeinsamen Glaubens, Ideologie oder Mission. 5. Materielle Ressourcen: Das Ausmaß, in dem die Regierenden Verfügungsgewalt über und Zugang zu Eigentum, Bodenschätzen, Finanzmitteln, Wirtschaftssystem sowie Kommunikations- und Transportmitteln haben. In welchem Maße der Herrschende diese kontrolliert oder nicht, lässt erkennen, wo die Grenzen seiner Herrschaft liegen. 6. Sanktionen: Strafen und Vergeltungsmaßnahmen, die vom Herrschenden verhängt werden gegen diejenigen, die Gehorsam und Zusammenarbeit verweigern, ob gegen die eigene Bevölkerung oder im Konflikt mit anderen Herrschenden. (Vgl.: http://www.slideshare.net/GeneSharpp/gene-sharp-from-dictatorship-to-democracy-german).

[3] G. Sharp,The Politics of Nonviolent Action: Part 2 The Methods of Nonviolent Action, Boston: Extending Horizons Books, 1973.

[4] Siehe zum Beispiel: Peter Ackerman and Jack DuVall, A Force More Powerful: A Century

of Nonviolent Conflict, St. Martin’s Press: 2000; Stephen Zunes, Sarah Beth Asher, and Lester Kurtz (Hg.), Nonviolent Social Movements: A Geographical Perspective, Blackwell: 1999; Maciej Bartkowski (Hg.),

Rediscovering Nonviolent History: Civil Resistance in Liberation Struggles, Lynne Rienner: 2013. (Alle Publikationen in englischer Sprache).

[7] Erica Chenoweth und Maria J. Stephan, Why Civil Resistance Works: The Strategic Logic of Nonviolent Conflict, Columbia University Press, 2011.

[8] Brian Martin, Justice Ignited: The Dynamics of Backfire. Lanham, MD: Rowman & Littlefield: 2007.

[9] Peter Ackerman und Christopher Kruegler, Strategic Nonviolent Conflict, Prager: 1994; Robert L. Helvey, On Strategic Nonviolent Conflict. Boston: Albert Einstein Institution, 2004 

[10] Ebd., Chenoweth und Stephan.

[11] George Lakey, Powerful Peacemaking: A Strategy for a Living Revolution, New Society Publishers: 1987.

[12] Eli S. McCarthy, Becoming Nonviolent Peacemakers: A Virtue Ethic for Catholic Social Teaching and U.S. Policy, Wipf and Stock Pickwick Publishers: 2012.

[13] M. Gandhi, Collected Works of Mahatma Gandhi, Band 62, 20. Mai 1936.

[14] Siehe (in englischer Sprache): „Liberian Women Act to End Civil War“, Global Nonviolent Action Database, 2010; Pray the Devil Back to Hell, Regie: Gini Reticker. Fork Fillms LLC, 2008.

[15] Azam Ahmed und Elisabeth Malkin, „Otto Pérez Molina of Guatemala is Jailed Hours After Resigning Presidency”, New York Times, 3.9.2015 

[16] Sister Simone Campbell, A Nun on the Bus: How All of Us Can Create Hope, Change, and Community. HarperOne, 2014.

[18] Maria J. Stephan, „The Peacebuilder’s Field Guide to Protest Movements“, Foreign Policy, 22.01.2016 

[19] Deutsche Übersetzung des Briefes: http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/002863.html

[20] Maria J. Stephan, „Resisting ISIS“, Sojourners, April 2015 Siehe auch (in englischer Sprache): M. Stephan, „Civil Resistance vs. ISIS“, Journal of Resistance Studies“, Bd. 1, Nr. 2, 2015.