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Materialversand zur Ökumenischen Friedensdekade „andere achten“ vom 11.-21.11.2007 angelaufen

21. Aug 2007

Offenbar stößt das diesjährige Motto der Ökumenischen FriedensDekade "andere achten" auf großes Interesse. Bereits jetzt wurden kurz nach Fertigstellung der Materialien über 1.100 Bestellungen ausgeliefert. Insbesondere das "Schnupperpaket Plus", das auch eine CD-Rom mit allen Materialien enthält, wird besonders nachgefragt.

Einen Überblick über die Themen des Materialheftes lässt sich aus dem Inhaltsverzeichnis entnehmen, das über die Homepage der Dekade zum download angeboten wird.

Es folgt ein Impuls zum Thema der Dekade von pax christi-Generaksekretär Dr. Reinhard J. Voß.


„andere achten“ - Überlegungen zum neuen Motto der Ökumenischen Friedensdekade

1

Mit diesem Motto für 2007 hat die Ökumenische Friedensdekade eine Zeitansage gemacht: in einer Zeit, in der immer skrupelloser persönlich und politisch – und zunehmend auch militärisch - das Eigeninteresse verfolgt und zum Maßstab gemacht wird, gilt es neu zu betonen, dass nicht nur eine vage „Toleranz“, sondern vielmehr Respekt voreinander die Grundlage für die Entwicklung von Gerechtigkeit, Frieden und Achtung vor der Schöpfung sind.

„Toleranz“ – so hat kürzlich der Jugend- und Gewaltforscher Prof. Heitmeyer aus Bielefeld formuliert – sei allzu passiv; es müsse vielmehr „Akzeptanz“ gefordert werden, um die gesellschaftlichen Spannungen zu lösen. Respekt und Achtung setzen solche Akzeptanz voraus; in dieser Haltung geht man auf „die anderen“ zu, mit Interesse und Achtsamkeit, mit aktivem Zuhören und Verstehen-wollen, aber auch mit dem Selbstbewusstsein des je eigenen. Und gerade diese Haltung brauchen wir in der deutschen Gesellschaft wie in der zusammen wachsenden Weltgesellschaft. Um den viel beschworenen Zusammenprall der Kulturen zu vermeiden, brauchen wir nicht unbedingt einen ständigen Dialog der Kulturen im Sinne der Überhöhung der eigenen oder fremden Kultur, sondern viel schlichter eine „Kultur des Dialogs“, formulierte der deutsche Außenminister Steinmeier im Dezember 2006.

2

„andere achten“ - dieser wachsende leise, aber globale Pro-Test (im Wortsinn: „Zeugnis für etwas“) entfaltet sich allmählich - vom buddhistischen Achtsam-sein über das hinduistische Ahimsa (dem „Prinzip des Nichtverletzens“) und das muslimische Gott vertrauende Insh´allah bis zur christlichen Nächstenliebe. Sie stellen sich gemeinsam gegen die lautstarken Fundamentalismen, die sich allzu sicher ihrer eigenen Richtigkeit und „Wahrheit“ sind, dass sie diese mit aller Gewalt durchzusetzen versuchen. Dabei geht der Deutungsstreit innerhalb aller Religionen um die „Wahrheit“, die durch Beispiel und Einsicht wachsen oder aber durch Gewalt verbreitet werden soll.

Gandhi hat aus dem hinduistischen ahimsa, das in früheren Zeiten nur privat gedeutet wurde, ein Prinzip der Gewaltfreiheit gemacht und das „shanti“ ebenfalls in diesem Sinne gedeutet, das vorher sowohl eine Kriegerethik als auch eine Asketenethik stützte. Gandhis Idee der Shanti Sena („Friedensarmee“) ist strikt gewaltfrei.

Der muslimische Djihad der heutigen „Gotteskrieger“ ist in tieferer theologischer Tradition als „Großer Djihad“ der innere Kampf, um ein guter Mensch zu werden.

Auch das Kreuz als Zeichen der Gewaltfreiheit mutierte in den christlichen Kreuzzügen zum Gegenteil.

„andere achten“ – das ist ein leiser, aber durchdringender, Gewaltverhältnisse überwindender Appell zum Respekt, zum Wahr-nehmen anderer. Dieser leise Appell breitet sich – gegen alle lauten Töne im privaten und politischen Feld - unaufhörlich aus in wachsender Achtung der Kulturen und Religionen, Völker und Ethnien, Menschen und Sprachen, von Geschöpfen und Schöpfung.

„andere achten“ – das ist ein leiser, aber grundlegender Aufruf, der historisch wirkmächtig wurde im Streiten für die Menschenrechte und gegen die alleinige Deutungshoheit von Kirche, Staat und Adel seitens des Bürgertum, das seinerseits später von weiteren Klassen ins Unrecht gesetzt wurde, als es „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ allzu sehr auf sich selbst allein bezog.

„andere achten“ – das ist ein leiser, aber grundlegender Aufruf dagegen, dass demokratische Gesellschaften heute beginnen, Demokratie mit Gewalt und Krieg exportieren zu wollen.
Damit unvereinbar sind Vorstellungen von strikter Verteilung von „gut“ und „böse“ oder von Demokratien und Schurkenstaaten. So reicht dieser leise Appell auch ins außenpolitische Feld und wird 2007 endlich wieder mehr gehört, denn selbst die US-Regierung unter Bush II. wurde durch die Baker-Hamilton-Kommission gedrängt, nicht nur mit Freunden, sondern auch mit Feinden wieder zu reden statt Krieg zu führen.


„andere achten“ heißt aber auch: sich selber achten und wahr-nehmen: sich ernst nehmen mit der eignen Tradition und Herkunft; sich selbstbewusst wie sensibel in den Diskurs der Kulturen, Religionen, Überzeugungen, Erfahrungen, Visionen und Ideologien einbringen.


3

In einem pax christi-Memorandum zur „Seele Europas“ vom September 2006, das eher von mehreren Seelen Europas spricht, heißt es in diesem Zusammenhang – und hier wird sozusagen das Motto „andere achten“ von 2007 mit dem von 2006 („…und raus bist du.“) verbunden:

„Die eigentliche Herausforderung, vor der Europa steht, ist daher nicht die Integration von Migrant/inn/en oder sog. „Andersgläubigen“, sondern die Ausgrenzung von „Anderen“, die als fremd und/oder bedrohlich wahrgenommen werden. Diese Ausgrenzung trifft sowohl Zugewanderte als auch „Einheimische“. Nicht die Zuwanderung ist eine Bedrohung für die gesamte Gesellschaft, sondern die Ausgrenzung. Daran ist festzuhalten, gerade auch angesichts der generellen Verdächtigung des Islam als Quelle des Terrorismus.

Stattdessen sind Grenzüberschreitungen zwischen verschiedenen Lebenswegen und Kulturen zu ermöglichen und zu fördern. Notwendig ist eine grundsätzliche Bereitschaft der Ge¬sellschaft, dem Anderen die Möglichkeit zu geben, ohne Angst seine Verschiedenheit zu leben. Unsere Zukunft kann nur in einem friedlichen und gleichberechtigten Miteinander liegen, in dem Fremdsein und Andersartigkeit akzeptiert und als Bereicherung anerkannt werden.

Respekt und Anerkennung sind eine bleibende Aufgabe jedes einzelnen im eigenen Alltag sowie der demokratischen Zivilgesellschaft insgesamt. Anerkennung verlangt, dass ich meine Lebensweise und Weltsicht als eine unter vielen verschiedenen Möglichkeiten betrachte, offen bleibe für anderes, ohne die eigene Perspektive aufzugeben.

Die Ängste und Bedrohungsgefühle, die sich in den Debatten um Leitkulturen oder Parallelgesellschaften zeigen, müssen ernst genommen werden. Wir wehren uns jedoch gegen eine Vereinnahmung dieser Ängste und gegen eine Instrumentalisierung gesellschaftlicher Konflikte für politische Zwecke. Stattdessen sind alle aufgerufen, gewaltfreie Austragungsformen für die gesellschaftlichen Konflikte und Debatten zu nutzen und zu fördern.“

Dr. Reinhard J. Voß, pax christi-Generalsekretär