"Let`s keep hope alive" - laßt uns die Hoffnung am Leben halten!
20. Dez 2007
"In wenigen Tagen werde ich Bethlehem verlassen...
In den vergangenen drei Monaten haben mir die Menschen hier vor allem Leidensgeschichten erzählt. Bei all dem die Hoffnung nicht aufzugeben, das kostet immens viel Kraft. Oft spüre ich die große auf den ersten Blick nicht unbedingt wahrnehmbare Müdigkeit. Ich habe um die verschlechterten Lebensumstände in Palästina gewusst. Aber dies täglich zu erleben, hat eine ganz andere Qualität.
Der Checkpoint 300 in Bethlehem
Ich erlebe stärker was es heißt, Menschen zu begleiten - in ganz besonders Weise, wenn wir morgens zwischen 4:30 h und 8:30 h am Bethlehem Terminal sind. In dieser Zeit gehen ca. 2.800 Männer und ungefähr 70 Frauen durch die Grenzanlage mit ihren Gebäuden, den elektronischen Anlagen, Riesenwachtürmen und der 9 m hohen Betonmauer. Die Menschen kommen aus Bethlehem, Hebron und anderen Orten in der Umgebung und sind auf dem Weg zur Arbeit in Israel. Manche von ihnen treffen schon um 2:30 h ein, um bei den Ersten zu sein, wenn um 5:00 h das Tor geöffnet wird, was jedoch regelmäßig mit 10 bis 30 Minuten Verspätung geschieht. Die Männer liegen auf Pappkartons und versuchen, noch etwas Schlaf zu finden. Wenn der Andrang gegen 4:30 Uhr größer wird, stehen sie dicht gedrängt in einem Gang, der von 2 hohen Metallgittern eingezäunt ist. Von extrem angespannten Situationen abgesehen, lassen die Männer die Frauen vorgehen.
Das Anstehen kann Stunden dauern und findet im Freien statt unabhängig vom Wetter. Seit 2 Jahren wird eine Schutzvorrichtung gegen Regen und Kälte angemahnt und ein Sonnenschutz für den Sommer sowie ein separater Gang für Frauen, kranke, alte und behinderte Menschen.
Die alltäglichen Strapazen, die Demütigungen, die alles beherrschende Willkür sind nichts Besonderes, sie sind palästinensischer Alltag!
Hier nur ein Beispiel: Eine junge Soldatin, die Passierscheine kontrolliert, schreit einen alten Mann wiederholt durch den Lautsprecher an. Er weiß nicht, wie er mit dem Handscanner umgehen muss und versteht die Soldatin nicht, weil er kein Hebräisch spricht. Durch ihr Gebrüll wird er immer verwirrter. Eine der israelischen Machsom Watch-Frauen, die gerade dort steht, fragt die Soldatin, was sie dazu sagen würde, wenn jemand so mit ihrem Großvater umginge. Sie antwortet, ihr Großvater sei kein Araber.
Eine kurze Begegnung, die ich während des Ramadan hatte, will ich euch zum Thema Begleitung erzählen: An einem Freitag wartet eine größere Gruppe junger muslimischer Frauen einige Stunden vor dem Terminal darauf durchge-lassen zu werden, um in Jerusalem in der Al Aqsa Moschee beten zu können. Sie hoffen vergeblich auf die große Ausnahme: Nur Frauen über 40 und Männer über 55 Jahre dürfen im Ramadan zum Freitaggebet nach Jerusalem. Eine der Frauen spricht mich auf Englisch an und fragt gereizt, warum ich da stehe. Es sei doch alles völlig sinnlos, ich könne eh nichts verändern.
Ich habe ihr vom Programm erzählt, aus welchen Ländern wir kommen, an welchen Orten wir in der West Bank eingesetzt sind und was wir dort tun. Dass unser Team in Bethlehem z.B. mehrmals in der Woche morgens zwischen 4:30 und 8:00 Uhr am Checkpoint ist, um zu bezeugen, wie die Menschen behandelt werden und um gemeinsam mit den israelischen Frauen von Machsom Watch zu helfen, wo es uns möglich ist.
Ich habe sie gefragt, ob sie die Erfahrung kennt, am Bett eines geliebten Menschen zu sitzen, der starke Schmerzen hat und ihm nichts anderes zukommen lassen zu können, als bei ihm zu sitzen. Als sie nickt, sage ich zu ihr, dass es mir hier manchmal ähnlich ergehe. Wir danken euch, für das was ihr hier tut sagt sie und drückt mich herzlich, als ich mich wieder auf den Weg mache.
Landverlust durch den Mauerbau
Einige Tage später treffen wir Ibrahim. Ich habe ihn gefragt, ob er uns durch Beit Jala führen und mit uns über den erfolgten bzw. geplanten Mauerbau sprechen kann. Im Anfang ist er sehr zurückhaltend, entschuldigt sich, dass er nicht besser Englisch spricht und sagt, dass er nicht sehr viel Zeit habe. Dann ist er vier Stunden mit uns unterwegs. Er zeigt uns den Mauerbau entlang der Straße Nr. 60, die nach Hebron führt, und wie viel Land dafür vom israelischen Staat konfisziert wurde.
Wir fahren in Ibrahims Garten, in den er viel Arbeit und Geld investiert hat. Hier hat er Weinstöcke, Obstbäume und Beerensträucher gepflanzt. Ein großes Stück seines Gartens wurde ihm für den Mauerbau genommen. Die Mauer steht dort zum Schutz der Siedlung Har Gilo und sollte ursprünglich viel weiter in seinen Garten reichen. Ibrahim und seine Brüder haben Einspruch erhoben und konnten nach vielen Verhandlungen einen Teil des Gartens retten. Ein Jahr war er nun nicht mehr hier. Er gesteht uns, dass er Angst davor gehabt habe, wieder herzukommen. Er zeigt uns unterwegs den zukünftigen Verlauf der Mauer und das Land, das die Bewohner von Beit Jala und Al Walaja dabei verlieren.
Einige Dörfer sind so eingeschlossen oder werden es bald sein, dass sie nur eine einzige Passierstelle als Ein-/Ausgang haben, und nur die Menschen hinein- und herausgehen dürfen, die dort wohnen. Angehörige oder Freunde, die außerhalb leben, können nicht zu Besuch kommen.
Ibrahim hat manchmal Tränen in den Augen, und gleichzeitig erzählt er begeistert und voll stolz von seiner Heimat.
Abschließend ist es mir wichtig zu sagen, wie sehr ich vom Engagement der verschiedenen israelischen Friedensgruppen beeindruckt bin. Als besonders stark habe ich hier die Frauen erlebt und ihren langen Atem bewundert. Da sind z.B. die Frauen von Machsom Watch, die nun seit Jahren regelmäßig an den Checkpoints stehen oder die Frauen in Schwarz, die seit 20 Jahren jeden Freitag mahnen, die Besatzung Palästinas zu beenden. Mir ist aufgefallen, dass zunehmend mehr junge Israelis in Friedens- und Menschenrechtsgruppen aktiv sind. Sie wagen viel, werden oft diffamiert und auch arrestiert.
Keep hope alive! Ich habe das in den vergangenen drei Monaten in Bethlehem vorgelebt bekommen: in der herzlichen Gastfreundschaft trotz wirtschaftlicher Not, in der Freude am Feiern, Tanzen und Singen trotz aller Sorgen und Ängste, in der Liebe zum Land trotz Mauerbau und Konfiszierungen, in vielen heiteren Geschichten trotz all der leidvollen Erlebnisse.
Mit der Hoffnung möchte ich schließen und allen gesegnete Weihnachten und ein gutes Neues Jahr wünschen. Meinen muslimischen Freundinnen und Freunden wünsche ich ein frohes Opferfest, und meinen jüdischen Freundinnen und Freunden mit uns allen gemeinsam: Let us keep hope alive! "
Mechtild Kappetein
Bethlehem im Dezember 2007
Disclaimer: Die Berichte der Freiwilligen im ÖFPI-Programm geben deren persönliche Meinung wieder.